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Vor ein paar Monaten hat Stephanie Renda, Vorstandsmitglied im Bundesverband Deutsche Startups, die Zurückhaltung der Deutschen beim Thema Beacons scharf kritisiert. Im Interview mit techtag erklärt die Gründerin und Geschäftsführerin des Technologieunternehmens match2blue, warum die kleinen Sender das Zeug haben, den Online-Handel auszubremsen.

techtag: Anfang des Jahres sind Beacons zum Trendthema 2015 ausgerufen worden. Was ist das Besondere an der Technologie?

match2blue:Das Besondere an Beacons ist, dass die kleinen Sendemodule in Verbindung mit einer mobilen Applikation eine punktgenaue Ortung ermöglichen. Mit Bluetooth Low Energy kommt zudem eine sehr stromsparende Technologie zum Einsatz. Beacons senden ihre Signale in Echtzeit an mobile Endgeräte und lassen sich sehr gut sowohl server- als auch softwareseitig für bestimmte Kundenlösungen individualisieren. Weiterer Vorteil: Wer die Technologie einsetzen und die damit verbundenen Möglichkeiten ausprobieren möchte, kann ohne große Vorkenntnis und mit geringen Initialkosten Pilot-Projekte aufsetzen. Andere Infrastrukturen sind weniger flexibel und auch nicht so kostengünstig.

match2blue ist selbst Hersteller von Beacons. Wie unterscheiden sich Ihre Geräte von anderen Beacons?

Als die ersten Beacons auf den Markt kamen, haben wir schnell erkannt, dass die verfügbaren Geräte nicht unseren Anforderungen genügten. Die Anwendung der Beacons war zwar standardisiert, aber statisch und ließ sich im Nachgang nicht einfach konfigurieren. Diese Herausforderung haben wir durch unsere Erfahrungen im Retail-Bereich gelöst. Aus den Gesprächen mit Kunden und unseren eigenen Ansprüchen als Entwickler haben wir unsere eigenen Beacons unter der Marke bluloc entwickelt. Im Ergebnis sind unsere Beacons kleiner und präziser als herkömmliche Beacons und haben mit bis zu 100 Metern eine wesentlich höhere Reichweite. Die blulocs lassen sich über ein Software Development Kit in bestehende Infrastrukturen integrieren. Außerdem sind unsere Beacons wasser- und stoßfest und damit für den Outdoor-Einsatz geeignet. Die Batterien besitzen eine lange Lebensdauer und sind austauschbar.

Welche Chancen ergeben sich durch die Beacon-Technologie für den Handel?

Unter Einsatz relativ geringer Investitionskosten hat der Handel erstmals die Möglichkeit, mit einer Beacon-Infrastruktur und der zugehörigen Software zu Analysen über das Kaufverhalten und die Vorlieben ihrer Kunden zu gelangen, wie sie derzeit nur im E-Commerce möglich sind. Mittels Flowtracking können Händler beispielsweise die Laufwege oder die Verweildauer der Kunden in Ladenzeilen nachvollziehen und ihr Angebot danach ausrichten. Den Vorsprung, den der E-Commerce in den vergangenen Jahren herausgespielt hat, kann der stationäre Handel mit dieser digitalen Technologie wieder aufholen.

Welchen Nutzen hat der Kunde davon?

Wir haben durch unsere eigenen Installationen in großen Einkaufszentren in Europa festgestellt, dass die Kunden unsere Technologie sehr stark zur Navigation im Innen- und Außenbereich nutzen. Kunden, die beispielsweise einen Buchladen suchen, müssen nicht erst den ganzen Floorplan durchforsten, sondern erhalten über die App eine Übersicht aller Läden, die Bücher anbieten und werden von der App direkt zu dem ausgewählten Geschäft navigiert. Das ist ein enormer Bequemlichkeitsvorteil. Außerdem kann jeder Nutzer seine App so individuell einstellen, dass er im Vorbeigehen nur die Angebote oder Hinweise zu Artikeln oder Dienstleistungen erhält, die ihn interessieren und die auf ihn zugeschnitten sind. Dieser Service wird nicht als Spam wahrgenommen, sondern als „Helping Hand“.

Was sagen Sie Leuten mit Datenschutzbedenken?

Sie können unbesorgt sein. Bluetooth-Signale zwischen Smartphone und dem Beacon finden auf direktem Weg statt, ohne lokale Netzwerkverbindung. Die Signale gehen nur in eine Richtung, vom Beacon kommend. Die Auswertung findet nur lokal im Smartphone, gesichert in der App statt. Darüber hinaus sind unsere Beacons verschlüsselt, das heißt, an die jeweilige ID der Beacons kommt kein Drittanbieter heran. Das hat den Vorteil, dass andere App-Anbieter unsere Signale und Infrastruktur nicht nutzen oder unerwünscht an ihr partizipieren können. Zudem werden Daten im Smartphone nur lokal, anonym und verschlüsselt ausgewertet. Nutzer dieses Systems beziehungsweise Drittanbieter können keine individuellen Rückschlüsse auf Personen ziehen – wir geben nur Kennzahlen heraus, also etwa wie viele Leute heute zwischen 12 und 16 Uhr den neueröffneten Wein-Shop im Einkaufszentrum besucht haben.

Welche weiteren Einsatzgebiete sind denkbar?

Es gibt unzählige weitere Einsatzmöglichkeiten: Ein Beispiel sind Museen. Herkömmliche Museumsführer-Lösungen mit Headset und Audioguide sind sehr teuer. Mit einer Beacon-Infrastruktur wird das Smartphone zur kostengünstigen Infoquelle, die den Anwender nicht nur durch das Museum navigiert, sondern auch punktgenau mit Informationen zu den Kunstwerken versorgt, vor denen er gerade steht. Gleichzeitig können Museen die Inhalte, die an das Smartphone ausgespielt werden, über eine Software aktualisieren und erweitern. Auf Flughäfen sind Beacons eine wichtige Navigationshilfe, etwa beim Wechsel der Gates, im Shoppingbereich oder bei der Sortierung der Gepäckwagen auf dem Vorfeld. Gerade die Logistikbranche wird in Zukunft von Beacons profitieren.

Wer zählt zu Ihren Kunden?

Zu unseren ersten Kunden zählen Betreiber von Einkaufszentren, sowohl in Deutschland als auch europaweit. Wir statten einen großen europäischen Flughafen mit Beacons aus und zunehmend auch Bahnhöfe, angefangen mit der St. Pancras Station in London. Außerdem kommen Museen, Logistikunternehmen und Messen auf uns zu, wenn es um Outdoor- und Indoor-Navigationslösungen geht. Ebenso stellt sich bei großen Bürogebäuden die Frage: Wie bringe ich die Menschen von A nach B und statte sie entlang des Weges mit Informationen aus. Wir erhalten Anfragen aus sehr unterschiedlichen Bereichen.

Interview über Beacons
Stephanie Renda, Geschäftsführerin match2blue (Bild: Jann Venherm)

Vor einigen Monaten haben Sie in einem Interview mit Location Insider kritisiert, dass die Deutschen beim Thema Beacons im europäischen Vergleich nicht aus den Startlöchern kommen. Hat sich das geändert?

Gerade in den letzten Monaten hat sich auch in Deutschland einiges getan. Wir haben eine Installation im Haus der Kommunikation in München erstellt und erleben, dass Einzelhandelsketten das Thema verstärkt nachfragen. Eine große Technologieberatung entwirft mit unseren Entwicklern Use Cases für alle Bereiche: Bahnhöfe, Flughäfen, Shoppingcenter, große Hotelanlagen. Europaweit kommen acht von zehn der größten Beacon-Installationen von match2blue. Der Vorsprung von Frankreich und Großbritannien ist vielleicht noch nicht ganz aufgeholt – da fängt Deutschland gerade erst an. Doch ich bin mir sicher: 2015 wird sich auch hier einiges tun.

Man hört, dass Beacons auch als soziale Schnittstelle, etwa im familiären Bereich nützlich sein können.

Ja, das ist richtig. Stichwort: Beacon in der Hosentasche. Hier wird die Technologie mobil. In Verbindung mit einem Smartphone und der zugehörigen App fungiert der Beacon als Trigger, der für alle möglichen Aktionen genutzt werden kann. So lassen sich Standortinformationen übermitteln und auch Nachrichtenübertragungen auslösen. Das ist sehr hilfreich für Familien mit Kindern und auch eine günstige sowie zuverlässige Alternative zu herkömmlichen Notrufsystemen für Senioren.

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Wir haben mit lilalarmi die Beacon-Hardware in einen Alarm-Knopf für die Hosentasche verwandelt. Mit einem einfachen Druckknopf erreicht das Signal das Smartphone des Kindes, auch wenn es sich in einiger Entfernung befindet oder es ihm gerade weggenommen wurde. Zwei Mal drücken heißt „Alles in Ordnung“ und löst den Versand einer entsprechenden Kurznachricht an einen zuvor definierten Personenkreis aus; drei Mal drücken heißt: „Ich habe ein Problem, ich brauche Hilfe.“ Die App versendet dann eine Nachricht mit einer genauen Standortinformation des Kindes oder Jugendlichen.

Fördert man mit so einem Produkt nicht die Überwachung innerhalb der Familie?

Im Gegenteil. Wir haben lilalarmi extra so gestaltet, dass der Trigger vom Kind ausgehen muss beziehungsweise vom Besitzer des Beacons. Damit grenzt sich unsere Lösung klar von mobilen Notrufsystemen ab, mit denen sich auf einer Karte Bewegungsmuster nachvollziehen lassen, oder die automatisch informieren, sobald ein Netzwerkteilnehmer einen vordefinierten Bereich betritt oder verlässt – Stichwort: Geofencing. Das wäre mit unserer Lösung zwar auch möglich, wir haben aber bewusst darauf verzichtet, um das Produkt auch für Teenager attraktiv zu gestalten. Die Freiwilligkeit steht im Vordergrund: Ich drücke und spare mir damit den Anruf bei den Eltern und eben auch, dass mich jemand anruft. Digitale Lösungen wie lilalarmi fördern den Trend, den Kindern die Verantwortlichkeit zu überlassen.S

Sie sind Mutter von drei Kindern, Geschäftsführerin von match2blue und auch noch im Vorstand des Bundesverbands Deutsche Startups. Wäre so ein Leben ohne digitale Technologie überhaupt denkbar?

Durch die digitale Technik habe ich die Möglichkeit, von überall und zu jeder Zeit zu arbeiten, mit meiner Familie in Kontakt zu bleiben und mein Leben durch Tools und Apps zu organisieren. Für mich ist mein Smartphone mein Personal Assistent. Ohne dies wäre mein Leben, so wie ich es führe, nicht möglich.