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Der Kunstbegriff Industrie 4.0 wird zunehmend greifbar. Besonders der Mittelstand hierzulande ist bemüht, sich in Zukunft der industriellen Digitalisierung zu stellen – auch wenn es noch etwas schleppend vorangeht. Dabei definiert jedes Unternehmen seine individuelle Industrie 4.0: Der Anlagen- und Automatisierungsspezialist SEW-Eurodrive ist allerdings schon einen Schritt weiter und setzt mit Lean-Industrie-4.0 beziehungsweise Smart Factory neue Maßstäbe: Der Mensch rückt dabei in den Fokus.

SEW-Eurodrive geht mit seinem persönlichen Smart-Gedanken völlig neue Wege. Das Unternehmen aus Bruchsal in Baden-Württemberg will trotz Digitalisierung, Internet of Things, Industrie 4.0, Lean Production und der immer fortschreitenden Automatisierung den Menschen in den Fokus rücken. Nach eigener Aussage wird der Mensch in Zukunft der Dirigent der Wertschöpfungskette. Dabei müssen Mensch und Maschine zu einer Einheit werden: „Mit Industrie 4.0 verändert sich die Rolle des Menschen im Rahmen der Gesamtprozesse. Es entstehen neue Arbeitsfelder, in denen die Produktions-Prozesse zusammenfließen. Dabei arbeiten Mensch und Roboter zukünftig Hand in Hand. Ihre Zusammenarbeit wird immer kooperativer. Immer stärker verschmelzen beide zu einem Team“, verspricht das Unternehmen. Wie eine solche Version in anderen Bereichen ausschauen kann, zeigte zuletzt das Ampere-Magazin mit dem Titel –Industrie 4.0 – von der Vision zur Wirklichkeit-.

SEW-Sm@art Factory: Mensch, Maschine und Produkt

Und Sm@art Factory könnte tatsächlich die Industrie 4.0 auf eine neue Ebene katapultieren. Denn geht es nach SEW, ist die Technik nicht Selbstzweck, lediglich eine Basis auf die zukünftige Industrie 4.0. In Zukunft werden mittels Lean-Gedankens reale und virtuelle Welt miteinander verschmelzen und ganzheitlich miteinander vernetzt sein. Das ermöglicht vollkommen neue Formen der Produktion und Zusammenarbeit. „In einer Lean-Industrie-4.0 werden Konzepte der Industrie 4.0 mit den etablierten Prinzipien des Lean-Management kombiniert und ermöglichen so eine neue Kollaboration von Mensch, Maschine und Produkten, mit dem Menschen und seiner Wertschöpfung im Mittelpunkt“. So zumindest sieht es SEW-Eurodrive. Hierbei fällt mir mein Artikel zum Ameisen-Algorithmus ein, der speziell die Vernetzung aller Beteiligten, inklusive der Produktlinie, aufzeigt. Dass die Produktion bereits tief in der Materie steckt, zeigen aktuelle Projekte aus der Industrie.

Lean ist ein Begriff, den man sich gut einprägen kann, aber ein kompliziertes Konzept, das sich nicht direkt erschließt.

– Takahiro Fujimoto, Lean-Vorreiter –

Und betrachtet man die eigentliche Smart Factory unter Berücksichtigung der Mitarbeiter, werden alte Weisheiten plötzlich Realität. So lautet die Philosophie von Toyota Motors seit Jahrzehnten: „Sei streng mit dem Prozess, aber sanft mit den Mitarbeitern“. Ein Motto, dem sich SEW-Eurodrive nicht verschließt. „Durch Gestensteuerung ergeben sich bei der Mensch-Roboter-Kollaboration völlig neue Möglichkeiten der intuitiven Bedienerführung. Dabei kann der Mensch durch einfache Gesten den Ablauf eines Prozesses situationsbedingt beeinflussen.“

Glaubt man den Machern von SEW, wird in der Praxis der Mitarbeiter in Zukunft verschiedene Teile anfordern, die ihm der Roboter aus mehreren Werkstücklagern holt und verbaut. „Somit lassen sich im Sinne der Mensch-Roboter-Kollaboration Aufgaben zwischen Mensch und Maschine sinnvoll teilen, indem der Mensch die Aufgaben übernimmt, bei denen kognitive Fähigkeiten gefragt sind.“ Das Unternehmen hat bereits Testumgebungen mit realer Auftragsdichte geschaffen. Roboter reichen dort dem Werker ergonomisch optimal Teile für eine Qualitätsprüfung in verschiedenen Ausrichtungen (siehe Videos). Der aktuelle Aufbau in einem Forschungscampus zeigt nach eigenen Angaben, dass diese Vision schon bald Realität werden kann.

So sieht nach SEW der Mitarbeiter der Zukunft aus. (Video: Sewnetherlands)

 

Infos zum Video: Das sogenannte Automated Giuded Vehicle, kurz AGV, beschreibt ein Fahrzeug, welches durch die Produktionshalle fährt und beispielsweise Aufträge in Form von digitalen Informationen empfängt. Daraufhin führt sich das Transportgerät selbstständig und auf kürzestem Weg durch das Lager, um etwa Bauteile abzuholen und weiter zum erwähnten Werker zu transportieren.

Smart Factory: Was bedeutet dies für Mensch und Arbeit 4.0?

  • Der mobile Montageassistent wird zum Cyber Physical System (CPS) und übernimmt alle Auftragsinformationen.
  • Mitarbeiter wird bei der Ausführung seiner Tätigkeiten unterstützt, bzw. es werden ihm wichtige Informationen übermittelt (Augmented Reality).
  • Mitarbeiter entwickelt sich vom reinen Montierer hin zum Steuernden und Regulierenden von miteinander vernetzten Produktionselementen.
  • Neuartige IT-basierte Assistenzsysteme fördern Kreativität und Lernfähigkeit.
  • Arbeitsablauf, der die Akzeptanz, Leistungs- und Entwicklungsfähigkeit, das Wohlbefinden und die Gesundheit der arbeitenden Menschen unterstützt.

Nun fragen sich viele Kritiker immer wieder, warum die Umsetzung noch immer soviel Zeit in Anspruch nimmt. SEW-Eurodrive hat auch darauf eine nachvollziehbare Antwort: „Jetzt müssen Unternehmen ihre Hausaufgaben erledigen. Aufgrund der vielen Abhängigkeiten, die in der vernetzten Fabrik entstehen, ist dieses Unterfangen eine schwierige Aufgabe. Es gilt daher, die bewährten Grundpfeiler Wertschöpfung, Wertstromorientierung, Störungs- und Fehlerfrei sowie effiziente Führung zu festigen und mit intelligenten Automatisierungslösungen anzureichern.“ Die Herausforderung, die es dabei zu meistern gilt: „Mensch, Technik und IT im Arbeitsprozess so intelligent miteinander zu kombinieren, dass eine optimale Wertschöpfung sichergestellt wird.“ Ein zuletzt aufgezeichnetes Stimmungsbarometer zeigt ein ähnliches Bild.