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Für die einen ist der Kunstbegriff Industrie 4.0 das Schwergewicht der Digitalisierung; für die anderen lediglich eine weitere Sau, die durchs Dorf getrieben wird. Aber wie weit fortgeschritten ist die Digitalisierung wirklich? Hinkt der deutsche Mittelstand tatsächlich den US-Unternehmen hinterher? Nein, aber so richtig voran kommen wir auch nicht – macht aber nichts.

Als ich kürzlich den gleichnamigen Vortrag „Digitalisierung ja, Fortschritt nein – macht aber nichts“ bei den Netzstrategen alias #nmfka vortrug, habe ich im Vorfeld mit der danach folgenden Diskussion nicht gerechnet. Zwischen digitaler Begeisterung und digitalem Frust war alles dabei: Da waren die kritischen Stimmen, die sich dafür stark machten, dass der Mittelstand hierzulande nicht wirklich in die Gänge kommt; den Anschluss, beispielsweise zu US-Unternehmen wie Google und Facebook, verliert. In den Büroräumen der Netzstrategen war aber auch eine digitale Aufbruchsstimmung spürbar, eine gewisse technische Neugier. Aber nun mal Tacheles: Wie steht es denn nun um die Digitalisierung des Mittelstandes hierzulande? Kurz und knapp? Gut.

Klar weiß ich, dass diese Einschätzungen für die meisten zu knapp ausfällt. Doch eigentlich bringt es das „Gut“ auf den Punkt. So müssen wir uns weltweit vor niemandem verstecken. Die Kritiker mögen es mir verzeihen, doch die von der Politik lancierte Industrie 4.0 ist beileibe schon bei 5.5 angelangt. Nicht der Mittelstand verschläft, vielmehr ist es die Politik, die Deutschland, beispielsweise beim Breitbandausbau, im Stich lässt. Denn auch wenn hierzulande 88 Prozent der Unternehmen über einen Breitbandanschluss verfügen, nutzen lediglich 58 Prozent der deutschen Haushalte einen schnellen Internetzugang. Zum Vergleich: In Ländern wie Dänemark, Schweden, Niederlanden haben über 80 Prozent der Haushalte einen Breitband-Internetzugang. Beides zusammenzuführen finde ich grundsätzlich falsch. Dennoch, es bleibt verbesserungswürdig.

Deutschland hinkt international hinterher, wenn es um Tempo auf der digitalen Autobahn geht.

Digitalisierung: eine Zeitreise mit viel Rauch um nichts

Um zu verstehen, wie weit wir hierzulande sind, was vor uns liegt und welche Hausaufgaben noch erledigt werden müssen, bedarf es einer gesellschaftlichen Zeitreise. So begann der eigentliche Drang zur Digitalisierung bereits im 19. Jahrhundert. Damals dachte man natürlich noch nicht digital; doch sind Erfindungen wie die Elektrizität als Antriebskraft die Vorboten gewesen, die heute die digitale Industrie beschreibt. Was folgte waren High Performance Computing und in den 1970er-Jahren der Personalcomputer. Und jetzt? Noch immer nutzen wir dieselben Technologien wie Festplatte, Arbeitsspeicher und Display; heutzutage sind diese lediglich schneller beziehungsweise hochauflösender, materialtechnisch leichter und vom Formfaktor (Smartphone, Tablet) kleiner. Die verbauten Technologien bleiben allerdings dieselben. Viel schlimmer: Unsere Arbeit hat sich in knapp 50 Jahren nicht verändert. Wie ich persönlich finde, eine erschreckende Erkenntnis.

Auf welche Erfindung wollen sie nicht verzichten? Auf Facebook oder die Toilette?

Robert J. Gordon, Ökonom

Vergleicht man dagegen die Industrie, den Mittelstand, ist der Fortschritt zumindest greifbar. Dort funktioniert die Maschine-Maschine-Kommunikation. Dort funktioniert auch die Mensch-Maschine-Kommunikation; ja selbst das autonome Fahren, was in unserer Welt leider nicht wirklich klappen will, ist in der Industrie Standard – wohlgemerkt, seit 30 Jahren. Und ja, auch die Smart Factory ist mittlerweile kein Hirngespinst mehr. Produktionen via Just-in-Time oder Just-in-Sequenz gehören zum industriellen Standard. Produkte kommunizieren mit Produktionslinien, mit Werkzeugen, Robotern und signalisieren, „bereit für den nächsten Prozess“.

Wir müssen endlich anfangen, nicht nur über die Möglichkeiten der Zukunft zu philosophieren. Wir müssen endlich damit anfangen, das Bestehende zu vernetzen. Smart darf in unserer heutigen Gesellschaft gedacht werden, Smart bedarf allerdings auch eine wesentlich breitere Diskussionsbasis, eine breite Akzeptanz der Gesellschaft – auch weil die Industrie einige Jahre Vorsprung hat. Technisch betrachtet fehlt es allerdings auch noch hier und dort an Know-how und den technischen Voraussetzungen. Versucht doch mal bei der DHL, nachdem ihr eine Trackingnummer erhalten habt, Eure Sendung zu verfolgen. Das wird nicht funktionieren. Erst wenn der Angestellte im Paketzentrum in Eurer Nähe die Ware erneut scannt, wisst Ihr, wo ungefähr das Päckchen sich befindet. In der Regel hat die Ware da schon Hunderte von Kilometern zurückgelegt. Auch Smart Home beziehungsweise Internet of Things ist eine Baustelle. So sind Insellösungen die Regel. Anbieter nutzen eigene nicht offene Schnittstellen; Kommunikation nur mit den vom Anbieter vertriebenen Lizenzen möglich. Smart Home sieht anders aus. Ein anderes Beispiel ist wesentlich komplexer. Zeigt aber, woran es mangelt: das autonome Fahrzeug – seit 2014 hat sich nicht viel getan. Damals hatte ich bereits angemerkt, dass das autonome Fahrzeug noch viel Entwicklungszeit benötigt – Tesla beispielsweise zeigte zuletzt, wo es alleine intern hinkt.

Hürden autonomes Fahren

  • 5G-Netz kommt erst 2020 (Asien 2018)
  • Latenz im Netzwerk muss von derzeit 100-150 Millisekunden auf zehn bis 20 Millisekunden reduziert werden. Letzteres ist industrieller Standard.
  • Lokales Netzwerk? Dann wären Sensorik, GPS und Kamera die entscheidenden Schwachpunkte. Oder hat jemand schon ein Google-Car im Schnee und Nebel fahren sehen?
  • Open Data – ohne offene Daten, wird beispielsweise das autonome Fahrzeug im jetzigen Straßenverkehr unmöglich.
  • Haftung

Lösung autonomes Fahren

  • 5G-Netzwerk – das Netzwerk ist speziell für Hochleistungsprojekte geeignet (IoT, Smart Home).
  • Cloudlets
  • Taktiles Internet
  • Weiterentwicklungen von Sensorik, Kamera, GPS/Galileo
  • Vernetzte Infrastruktur
  • Open Data

Die Lösungen sind natürlich auch auf andere Bereiche der Vernetzung zu übertragen: Smart Home, Smart Building, Smart City, Smart Grid usw..