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Über den Nachrichtendienst Twitter haben ich von der Studie „Industrie 4.0 – Folgen der deutschen Volkswirtschaft“ erfahren und sie natürlich sofort geordert. Und keine Panik: Die langfristigen „Auswirkungen“, die von der Studie angerissen werden, bemessen auf die kommenden zehn Jahre, auf Arbeitsmarkt, Wertschöpfung und Produktivität müssen nicht unbedingt negativ behaftet sein.

Über Industrie 4.0 haben meine Wenigkeit und Kollegen schon viele Tastenhiebe benötigt, hin und wieder auch vergeudet. Meist beleuchten wir Journalisten eher den technischen Aspekt; berichten über die neuen Möglichkeiten hinsichtlich der Mensch-Maschine- beziehungsweise Maschine-Maschine-Kommunikation. Über die die Auswirkungen auf Wirtschaft und Berufswelt liest man eher in Nebensätzen. Mein Dank geht an die DZ BANK AG, die mir die Studie „Industrie 4.0 – Folgen für die deutsche Volkswirtschaft“ freundlicher Weise zur Verfügung stellte.

Umgestaltung zur Industrie 4.0 muss von Qualifizierungsmaßnahmen begleitet werden

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, kurz IAB, blickt in eine rosige Zukunft für die deutsche Industrie, in eine schwarze, wenn im selben Zusammenhang der Arbeitsmarkt beleuchtet wird. Laut des IAB werden die Produktivitätssteigerungen bis zum Jahr 2025 zu einem Verlust von 490.000 Arbeitsplätzen führen. Gleichzeitig dürfte eine neu generierte Nachfrage nach Produkten zu 430.000 neuen Stellen führen. Klingt zunächst nach einem gesunden Ausgleich.

Weit gefehlt, denn die Herausforderungen sind enorm: „Es wird sich bei den Arbeitsplatzverlusten insbesondere um Routinetätigkeiten handeln, während die neu gesuchten Stellen eher Nicht-Routinetätigkeiten betreffen und dementsprechend ein höheres Qualifikationsniveau erfordern.“ Die Aussage beinhaltet meines Erachtens zwei Kernthesen, die derzeit auch in den Medien diskutiert werden. Zum einen müssen Unternehmen erkennen, dass die Fabrik der Zukunft, deren Produktion, nur eine Seite der Medaille ist. Auf der Kehrseite stehen dagegen der klassische Fabrikarbeiter ohne Qualifizierung, der Facharbeiter mit Qualifizierung und der leitende Mitarbeiter mit Studienabschluss. Weiterbildungsmaßnahmen und ein gutes Fingerspitzengefühl in Sachen Demographie ist also gefragt. Das war allerdings auch schon Ende 2014 gefragt. Damals suchten Arbeitgeber verzweifelt nach Fachkräften im Ausland.

Industrie 4.0? Wer finanziert schon gerne ins Ungewisse?

Zusätzlich drückt die Zeit selbst. So dürften die Auswirkungen zu Beginn des Zehn-Jahres-Zeitraums noch vergleichsweise gering sein, aber mit zunehmendem Fortschritt der Umgestaltung immer stärker steigen. Auch die Flüchtlingskrise wird, zumindest auf kurze Sicht, nicht helfen. Der Wissensstand der Migranten ist dafür einfach zu gering. Individuelle Weiterbildungen, spezielle Studiengänge und die Integration selbst werden Zeit benötigen, Zeit die vielleicht nicht ausreicht – zumindest aber ein teures Unterfangen beschreibt. Am Ende wird wahrscheinlich tatsächlich ein Fachkräftemangel vorherrschen. Die Nachfrage dürfte nach wenig qualifizierten Arbeitskräften oder gar nach Arbeitskräften ohne berufliche Ausbildung merklich nachlassen – so auch in der Studie nachzulesen.

Die Kernaussagen der Studie:

  • Industrie 4.0 entspricht der Automation einer Manufaktur
  • Deutsche Industrie will sich dem Wettlauf nach immer günstigeren Produkten eigentlich entziehen…
  • … auf sehr lange Sicht dürften aber die Preise wieder sinken
  • Fachkräftemangel verschärft sich tendenziell
  • Investitionstätigkeit muss zulegen, damit Industrie 4.0 langfristig erfolgreich werden kann

Ich befinde mich beruflich bereits inmitten der Industrie 4.0, sehe der Zukunft positiv entgegen. Doch einige meiner Kollegen würden wahrscheinlich die folgende Aussage abnicken: „Industrieunternehmen werden den Schritt zur Industrie 4.0 nur vollziehen, wenn die Rendite der damit verbundenen (beträchtlichen) Investitionen erfolgversprechend ist.“ Zum Teil gebe ich den Verfassern der Studie sogar Recht. Klar ist doch, dass wir uns noch immer in einer frühen Phase der Industrie 4.0 bewegen. Für einige Unternehmen ist es bereits Alltag, andere dagegen wissen noch nicht, ob sie überhaupt ein Teil dieser technischen „Revolution“ werden wollen oder überhaupt werden müssen. Zudem sind die tatsächlichen realisierbaren Erträge sehr schwer prognostizierter – meinerseits also 100-prozentige Übereinstimmung mit der Studie -. Wer finanziert schon gerne ins Ungewisse?

Mittelstand benötigt Zeit und vor allem Ressourcen

Doch mal ehrlich, wir sind doch bereits dabei. Die Industrie 4.0 findet schon statt. Wir müssen uns endlich klar werden, dass viele Unternehmen nicht unbedingt dem Trend folgen müssen. Damit widerspreche ich der Studie: „Die Vorteile durch eine Umstellung des Produktionsprozesses auf die Industrie 4.0 kommen dabei nicht nur bestimmten Branchen zu Gute. Die Einführung eines derart modernen Systems wird viel Zeit und Ressourcen in Anspruch nehmen und letztendlich die gesamte Produktion im verarbeitenden Gewerbe revolutionieren.“ Ich bin der festen Überzeugung, dass spezielle Bereiche in ihrer Nische verbleiben, auch weiterhin weniger qualifizierte Mitarbeiter benötigen werden. Logistik- und Produktionsstandorte werden beispielsweise mehr und mehr automatisiert, den Kommissionierer oder den Leitstand-Verantwortlichen wird man aber nicht mit Software und Hardware ersetzen können.

Vielleicht sollten wir uns auf einen Mittelweg einigen. Dieser ist sehr steinig und lang, aber zu bewältigen. Die Industrie sollte sich nicht von irgendwelchen Verbänden in die Irre führen lassen; aber auch nichts ungeprüft lassen. Dagegen sollten die Kritiker und Skeptiker sich auf die wesentlichen Branchen konzentrieren – nicht alle Unternehmen, die auf wenig Vernetzung und Automatisierung setzen, sind auch gleich Verweigerer der Industrie 4.0. Die Studie hat mich nachdenklicher gemacht. Denn speziell der Arbeitsmarkt erscheint mir noch recht unbeleuchtet zu sein. Es müssen wesentlich mehr Kanäle für Bildung zur Verfügung stehen oder entwickelt werden. In Sachen Technologie sind die deutschen Unternehmen allerdings bestens aufgestellt. Egal ob Bosch, Audi, BMW – sie alle Mischen bereits in der Industrie 4.0 mit; sind mittlerweile fester Bestandteil der Massenbewegung Internet of Thing beziehungsweise Industrie 4.0. Warum also in Panik verfallen? Oder verliert Deutschland tatsächlich den Anschluss? Digital soll dieses Prozedere sogar schon zementiert sein.