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Die Kameras an den Kreuzungen sind installiert, die Sensortechnik ist auf den neuesten Stand gebracht und die fahrerlosen Autos stehen einsatzbereit in der Garage: Das Testfeld Autonomes Fahren Baden-Württemberg nimmt langsam aber sicher Konturen an und ab Frühjahr sollen in der Karlsruher Oststadt selbstfahrende Autos auf Herz und Nieren getestet werden.

„In den vergangenen Monaten wurde hier sehr viel auf die Beine gestellt“, sagt Projektleiter J. Marius Zöllner. Beim Vorstandsmitglied des Forschungszentrums Informatik (FZI) und Professor des Instituts für Angewandte Informatik und Formale Beschreibungsverfahren (AIFB) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) laufen während des Aufbaus des Testfeld Autonomes Fahren alle Fäden zusammen und wenige Wochen vor dem offiziellen Startschuss am 21. April liegen die Vorbereitungsarbeiten voll im Zeitplan.

Die erste zwölf Kilometer lange Strecke des Testfeldes führt in Karlsruhe von der Südtangente über den Ostring bis zum Testgelände des Instituts für Fahrzeugsystemtechnik (FAST) auf dem Campus-Ost des KIT. „Auf dieser Strecke haben wir für die ersten Tests sowohl eine vierspurige Fahrbahn als auch zahlreiche Kreuzungen und Überwege“, nennt Zöllner die Vorteile des Testkurses. Außerdem soll baldmöglichst noch das städtische Parkhaus in der Fritz-Erler-Straße in unmittelbarer Nähe der KIT-Verwaltung in die Testfeldkulisse mit aufgenommen werden. Und noch im Frühjahr sollen auch weitere Streckenabschnitte des landesweiten Testfeldprojekts in Bruchsal und Heilbronn betriebsbereit sein.

Ampeln kommunizieren mit selbstfahrenden Fahrzeugen

Mit 2,5 Millionen Euro wird der Aufbau des Testfeld Autonomes Fahren von der baden-württembergischen Landesregierung gefördert. Weitere 2,5 Millionen steuert das Land als künftiger Testfeldnutzer für den Probebetrieb des Projekts „Smart Mobility“ bei. Ein weiterer Nutzer ist auf jeden Fall der Karlsruher Verkehrsverbund (KVV), der als offizieller Testfeldbetreiber fahrerlose Minibusse für den Einsatz im innerstädtischen Pendelverkehr erproben will. Außerdem können Automobilhersteller, Zulieferer und Dienstleister ihre Innovationen künftig auf den ausgewiesenen Testfeldstrecken unter Realbedingungen testen. Herzstück des Testfelds ist bislang die ausgeklügelte Sensortechnik an den Kreuzungsbereichen. „Die Ampeln kommunizieren mit den Fahrzeugen“, betont Zöllner. Dafür liefern die Kameras hochauflösende Bilder und Radarsensoren messen die Abstände zwischen den einzelnen Fahrzeugen. Hochgenaue Karten erleichtern den autonomen Autos zudem die Navigation durch den innerstädtischen Großstadtdschungel. Selbst das Wetter wird in der unmittelbaren Umgebung des Testfelds genau erfasst und ausgewertet. So erhalten die Nutzer frühzeitig Informationen über mögliche Gefahren durch Glatteis oder Aquaplaning. „Wir bauen hier eine komplett neue Infrastruktur auf“, stellt Zöllner klar. Bei Bedarf wurden sogar schon Glasfaserleitungen zur schnellstmöglichen Übertragung der Datenberge verlegt.

Bürger-App liefert Informationen aufs Smartphone

Auf mindestens fünf Jahre ist der Betrieb der Testfelds angelegt. Die ersten Forschungsschwerpunkte sind für Zöllner die Entwicklung von autonomen Parksystemen, die Erprobung von innovativer Sensortechnik und der Einsatz von autonom steuerbaren Systemen im öffentlichen Nahverkehr. „Der technologische Reifegrad ist bereits heute sehr hoch“, betont Zöllner. Allerdings müssten zur Serienfreigabe von autonom fahrenden Autos noch zahlreiche rechtliche und ethische Fragen, wie nach der Haftung bei einem Unfall, beantwortet werden. Nicht zuletzt hänge der Erfolg einer neuen Technik auch von der gesellschaftlichen Akzeptanz der jeweiligen Innovationen ab. Deshalb möchte das Testfeldkonsortium die Bürgerinnen und Bürger weiterhin über den aktuellen Entwicklungsstand sowie über die Chancen und Risiken beim Einsatz von sensorgesteuerten Fahrassistenzsystemen informieren. Das Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildanalyse entwickelt deshalb extra eine „Bürger-App“. Über QR-Codes an den Ampelmasten können sich die Nutzer der App ab Februar technische Hintergründe zu den aktuellen Testfeld-Projekten bequem aufs Smartphone oder den Rechner herunterladen

Politiker sehen hohe Akzeptanz für das Testfeld Autonomes Fahren

Nach der Einschätzung von Karlsruhes Oberbürgermeister Frank Mentrup stehen die Einwohner der Fächerstadt dem Mobilitätsprojekt bislang überwiegend positiv gegenüber. Vom Erfolg des Projekts ist Mentrup ebenfalls überzeugt. „Wir wollen hier alle etwas Ordentliches auf die Beine stellen“, betont der Rathauschef. Die Zusammenarbeit von Experten aus unterschiedlichen Professionen sorge dabei zwar für eine gewisse Komplexität. „Aber am Ende wird sich die Qualität dadurch weiter erhöhen“, sagt Mentrup.

„Die Ampeln werden auf Grün geschaltet“, betont auch der Heilbronner Oberbürgermeister Harry Mergel. Gründe für die Beteiligung an dem Testfeld sind für Mergel vor allem die lange Maschinenbautradition sowie die starke Affinität der Neckarmetropole zur Automobilindustrie. „Außerdem müssen wir uns den Herausforderungen der Zukunft bereits heute stellen“, betont Mergel Die Stadt Heilbronn erhofft sich vom Testfeld Erkenntnisse für ein intelligentes Verkehrsleitsystem mit weniger Staus und einer geringeren Schadstoffbelastung. Außerdem ist das Testfeld für Mergel die Basis für ein neues Verkehrsleitbild mit weniger Parkplätzen und einer besseren Vernetzung von motorisiertem Individualverkehr und öffentlichem Nahverkehr. Bereits bei der Bundesgartenschau 2019 sollen die ersten Erkenntnisse aus dem Testfeld umgesetzt werden.

„Wir sind uns noch nicht ganz sicher, wie das autonome Fahren am Ende aussehen wird“, betont Ministerialdirektor Uwe Lahl vom baden-württembergischen Verkehrsministerium. Viele Leute hoffen nach Lahls Einschätzung auf spürbare Verbesserungen, andere Experten warnten dagegen vor einer Zunahme des Verkehrs. „Außerdem müssen die rechtlichen und ethischen Fragen noch europaweit geklärt werden“, betont Lahl.

Ekart arbeitet seit 2003 als freiberuflicher Journalist, PR-Berater und Dozent in Karlsruhe. Vorher hat er an der Universität Karlsruhe Maschinenbau studiert. Sein dadurch erlangtes technisches Rüstzeug lässt er heute in zahlreiche Veröffentlichungen über die boomende Karlsruher IT-Branche im Wirtschafts- und Wissenschaftsteil der Tageszeitung BNN mit einfließen. Seine Freizeit verbringt er aber hauptsächlich in der analogen Welt, nämlich auf dem Tennisplatz, in der Handballhalle oder beim Wandern mit der Familie im Pfälzerwald.