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Big Data, Cloud Computing, Internet of Things, Cyber Security, Künstliche Intelligenz, Digitaler Zwilling oder Maschinelles Lernen: Laut einer aktuellen Umfrage der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft können rund 80 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Baden-Württemberg mit Fachbegriffen aus dem Themenfeldern Digitalisierung und Industrie 4.0. nichts oder nur wenig anfangen. „Für den Mittelstand sind das Ufos am Himmel“, sagt Hochschul-Professor Rüdiger Haas von der Fakultät für Maschinenbau und Mechatronik.

Und wegen dieser Wissenslücken habe der Mittelstand im Musterländle bei der Umsetzung der Industrie 4.0. einen schweren Stand. „Kleinere Unternehmen stehen vor immensen Herausforderungen“, skizzierte der promovierte Maschinenbauingenieur beim Wissenschaftsdienstag der Veranstaltungsreihe EFFEKTE zum Themenkomplex „Arbeitswelten der Zukunft“ ein eher düsteres Bild der Branche.

„Produktivität und Flexibilität reichen alleine nicht mehr aus“

Ohne eine entsprechende Digitalisierungsstrategie können nach Haas` Einschätzung zahlreiche Unternehmen aus Baden-Württemberg den Anschluss an den Weltmarkt verlieren. „Eine hohe Produktivität sowie die bekannte Flexibilität reichen künftig alleine nicht mehr aus“, mahnte Haas. Laut einer aktuellen Studie würden in den kommenden Jahren wahrscheinlich mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze in der produzierenden Industrie durch Roboter ersetzt. Für Druck auf dem globalisierten Markt sorge dazu noch die Konkurrenz aus Asien. „In China fackeln die Leute bei der Digitalisierung nicht lange. Da legen sie einfach los„, betonte Haas.

Unternehmen sollen ältere und jüngere Beschäftigte besser untereinander vernetzen

Um für die Zukunft gerüstet zu sein, sollten die Unternehmen ihre Beschäftigten besser miteinander vernetzen und den Wissenstransfer zwischen den Generationen aktiv vorantreiben. „In vielen Betrieben gibt es ältere Leute mit immenser Berufserfahrung und jüngere mit digitalem Fachwissen. Aber diese Leute reden vielleicht montagmorgens über die Fußballergebnisse vom Wochenende und das wars dann“, sagte Haas. Außerdem würde kaum ein mittelständisches Unternehmen Wissensdatenbanken anlegen. „Dabei geht mit jedem Menschen, der aus dem Unternehmen in den Ruhestand verabschiedet wird, auch Firmenwissen verloren“, so Haas.

Um die Digitalisierung in den Köpfen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verankern, sollten die Firmen nach Einschätzung von Dr.Maja Jeretin-Kopf auch ihre internen Kommunikationsstrategien überdenken. „Viele Leute sind schon heute mit der Vielzahl ihrer Aufgaben überfordert“, betonte die wissenschaftliche Leiterin in der Abteilung für Wissens- und Technologietransfer an der Hochschule, und deshalb sollten Themen wie Verantwortung oder Wertschätzung im Unternehmensalltag wieder eine wichtigere Rolle spielen. Außerdem sei der „Sinn des Tuns“ in vielen Unternehmen verloren gegangen. „Viele Mitarbeiter wissen nicht mehr, was sie eigentlich produzieren“, sagte Jeretin-Kopf.

Beim Service Learning blicken Studierende über den theoretischen Tellerrand hinaus

Nach Einschätzung von Studiengangs-Koordinatorin Julia Staiger-Engel von der Pädagogischen Hochschule (PH) Karlsruhe sollen sich bereits Kinder aktiv mit den künftigen Arbeitswelten auseinanderzusetzen. Um die Lehrenden von Morgen auf die erzieherischen Herausforderungen vorzubereiten, setzt die PH beim so genannten Service Learning auf eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis. Während des Studiums engagieren sich die Studierenden in sozialen Projekten und blicken dabei über den theoretischen Tellerrand der wissenschaftlichen Lehre hinaus.

Die drei wichtigsten Schlagworte beim Service Learning sind laut Staiger-Engel Realität, Reziprozität und Reflexion. „Der Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis steht aber immer im Mittelpunkt. Denn nur wenn die Studierenden aus dem Elfenbeinturm steigen und sich mit echten Problemen beschäftigen, können sie das notwendige Praxiswissen erlangen und Inhalte vertiefen“, so Staiger-Engel. In den USA sei das Service Learning bereits in vielen Bereichen der Gesellschaft verankert. In Deutschland schlossen sich im Jahr 2009 insgesamt 35 Hochschulen zum Entwickeln einer gemeinsamen Strategie zusammen. An der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft ist das Thema ebenfalls bereits angekommen und wird dort seit einigen Jahren unter anderem von Cosima Klischat von der Fakultät für Elektro- und Informationstechnik mit zahlreichen Projekten und Kooperationen vorangetrieben. „Dabei sollen die Studierenden ihr Fachwissen in soziale Projekte einbringen. Das ist dann eine echte Win-Win-Situation“, so Klischat.

„Mensch scheint mit der Maschine zu verschmelzen“

Die Interaktion zwischen Mensch und Maschine ist das Steckenpferd von Prof. Dr.-Ing. Barbara Deml. „Was Menschen von Maschinen unterscheidet, sind Emotionen und Kognitionen“, sagte die Leiterin des Instituts für Arbeitswissenschaft und Betriebsorganisation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Wenn Roboter dem Menschen zu sehr ähnelten, stelle sich allerdings der so genannte Uncanny Valley Effekt ein. Trotzdem ist die sukzessive Verschmelzung von Menschen und Maschinen nach Demls Einschätzung bereits in vollem Gange. In manchen Betrieben implantierten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits intelligente Chips zum Erfassen von Bewegungen, Herzfrequenz und Arbeitszeit und in vielen Produktionshallen seien Exo-Skelette zur Unterstützung der Montagekräfte bereits gang und gäbe. „Irgendwann scheint der Mensch mit der Maschine zu verschmelzen“, so Deml, und auf der anderen Seite würden Computer und Roboter immer besser und schneller lernen.

Noch drei Wissenschaftsdienstage bis zum Festival EFFEKTE vom 29. Juni bis zum 7. Juli

Bis zum Mai 2019 gibt es jeden Monat einen EFFEKTE-Wissenschaftsdienstag auf dem Gelände des Kreativparks Alter Schlachthof. In wechselnden Locations kommen Karlsruher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Bühne, um ihre aktuellsten Forschungsprojekte zum Thema „Karlsruhe 4.0.“ zu präsentieren. Am 12. März geht es ab 19.30 Uhr im Tollhaus um „Umwelt und Katastrophen“, am 2. April ab 19.30 Uhr in Substage Café unter dem Motto „Dem Gewimmel im Darm auf der Spur“ um die Vorgänge im menschlichen Verdauungstrakt. Am 7. Mai läutet der Wissenschaftsdienstag „Faszination Leben 4.0“ ab 19.30 Uhr im Substage Café den Endspurt auf das nächste Wissenschaftsfestival EFFEKTE ein, bei dem sich Karlsruhe vom 29. Juni bis zum 7. Juli zum vierten Mal in ein riesiges Mitmach- und Experimentierlabor verwandelt.