Lesedauer ca. 6 Minuten

Amazon will nicht nur frischen Wind in den E-Commerce bringen; das US-Unternehmen drückt auch in Sachen Onlinehandel mit frischen Lebensmitteln auf die Tube. So hat Amazon nun einen Barcode-Scanner auf den Markt geschmissen, der das Einkaufen von Lebensmittel erleichtern soll – inklusive Spracherkennung. Der lokale Handel dürfte das sogenannte Projekt Amazon Dash schon jetzt verteufeln. Dabei ist die Idee nicht neu und auch eine Chance für den Einzelhandel.

Amazon spinnt sein Netzwerk immer feiner und lässt hier und da immer wieder mal nette Gadgets fallen, die für die Orientierung im besagten Netzwerk nützlich sein können. Neben Tablet und TV-Box soll nun Amazon Dash die Kunden an Amazon binden. Eigentlich keine schlechte Idee. Der Verbraucher darf seine Lebensmittel und andere Kleinigkeiten via Stick und dem gekoppelten Online-Dienst Amazon Fresh ohne technisches Verständnis bestellen und ohne dabei einen Fuß in einen Supermarkt gestellt zu haben. Voraussetzung für die Nutzung des Lebensmittellieferdiensts ist eine Mitgliedschaft beim genannten Dienst, für die nach einer 30-tägigen Testphase 299 US-Dollar pro Jahr anfallen. Bis zu einem Warenwert von 35 Dollar kommen außerdem Lieferkosten hinzu.

Amazon Dash: Bedienung kinderleicht

Die Handhabung erscheint dabei aber einfach: Mit dem eingebauten Barcodescanner werden Etiketten und Barcodes von vorrätigen Produkten einfach eingelesen; liegt kein Barcode vor oder ist das Produkt bereits nicht mehr im Haushalt vorrätig, darf die Einkaufsliste auch per Spracherkennung angereichert werden. Das Gerät wandelt die Sprache automatisch in Textform um und sendet die Bestellung per WLAN in die Amazon-Cloud zum Fresh-Dienst. Der Kunde muss lediglich am PC, Tablet oder Smartphone den Einkaufswagen überprüfen und bestätigen.

Mit dem eingebauten Barcodescanner im Amazon Dash Stick werden Etiketten und Barcodes von Produkten einfach eingelesen (Bild: Amazon)
Mit dem eingebauten Barcodescanner im Amazon Dash Stick werden Etiketten und Barcodes von Produkten einfach eingelesen (Bild: Amazon)

Multi-Channel-Strategien sind die Zukunft

Was in den USA bereits zum Alltag gehört, soll nun auch Europa, beziehungsweise Deutschland erobern. Auch wenn noch nicht klar ist, ob und wann die Frischwarenabteilung von Amazon in Deutschland eröffnet, der stationäre Handel ist gewarnt und sollte diese Art des Einkaufs nicht gleich zu Beginn verteufeln. Zum einen wird es Amazon in Deutschland enorm schwer haben, mit dieser Bestellform Fuß zu fassen, zum anderen ist es aber auch eine Chance, seinen eigenen Laden ins Netz zu bringen und sich persönlich zu modernisieren. Und selbst Händler, die noch offline denken, können durch das digitale Denken ihre eigene Verkaufsstrategie pimpen – auch um nicht auf die rote Liste zu kommen. Denn mit zusätzlichen Kanälen, sogenannte Multi-Channel-Strategien, können lokale Händler ihre bereits vorhandenen sowie neuen Zielgruppen ansprechen und so sogar Neukunden ins stationäre Geschäft locken. Und Amazon ist auf Ladenflächen vor Ort angewiesen. Kooperationen mit dem Onlinehaus sind daher grundsätzlich erwünscht. Voraussetzung ist jedoch, mit seinen Angeboten in der digitalen Welt präsent zu sein. Doch Größen wie Rewe, Edeka, Lidl oder Aldi werden wahrscheinlich ein mögliches Angebot von Amazon ausschlagen. Ihre eigenen Konzepte liegen bereits in den Schubladen oder sind in der Mache. Milliardengewinne sind ebenfalls Grund genug, eigene Konzepte zu verfolgen. So bieten Edeka und Rewe einen Bring- und Bestell-Service an – bisher leider nur in wenigen Filialen und Städten. Die Apps der besagten Ketten sind aber noch optimierungsbedürftig. Da muss zweifelsohne mehr passieren; wovon allerdings auszugehen ist.

Lokal und Online: über gaxsys und Arendicom

Egal, Amazons Vorhaben ist in Deutschland nicht neu und es gibt auch schon zusätzliche und mit dem Markt verknüpfbare tolle Ideen, die den lokalen Handel voran bringen könnten. Beispielsweise verfolgen zwei deutsche Unternehmen ähnliche Wege, das virtuelle Frischwarenregal dem Kunden näher zu bringen. Da ist zum einen die gaxsys-GmbH aus Karlsruhe. Sie hat ein System entwickelt, welches gepaart mit dem Tourenleitsystem XTS aus dem Hause TUP den urbanen Raum an die besagten digitalen Schnittstellen koppelt. Das badische Unternehmen forciert dabei eine zügige Lieferung, inklusive der Einbindung des lokalen Handels, und will via Echtzeit-Routing und dezentraler Lagerung (Depots) dem Transport mittels Materialflusssteuerung den grünen Daumen aufdrücken.

Ebenfalls erwähnenswert sind die Damen und Herren von Arendicom. Auch sie versuchen den lokalen Handel mit einem Internet-Shop zu verknüpfen. Der Unterschied zum Karlsruher Unternehmen: Sie treten nach eigener Aussage als Vertreter der Marke auf, der Shop läuft also nicht über die Marke selbst; sondern wird von arendicom gepflegt. Beide Unternehmen verfolgen aber dasselbe Ziel. Gaxsys sowie Arendicom finden für die Lieferung den Fachhändler mit der geringsten Entfernung zum Besteller. Der Fachhändler versendet die Ware direkt zum Endverbraucher und bietet den Service vor Ort – gaxsys geht noch einen Schritt weiter und bietet die Abholung vor Ort direkt an.

Tolle Ideen: EmmasBox macht den Kunden flexibel

Das Konzept “Abholung vor Ort“ wird in Zukunft eine wesentliche Rolle spielen. So bietet beispielsweise der Anbieter „open ideas GmbH“ aus München mit seiner „EmmasBox“ an, den getätigten Einkauf vor Ort abzuholen, wohlgemerkt, zu der vom Kunden gewünschten Zeit. Klar, und was ist mit kühl-kritischen Lebensmitteln? Der Trick beruht auf die Lagerung selbst. Bestellt der Kunde, wird die Ware vor Ort eingepackt und in öffentlich zugänglichen Kühlboxen vor dem Laden eingelagert. Dort kann der Kunde die Ware bequem, auch nach Mitternacht, einfach abholen. In einem Interview mit dem Gründer Michael Reichert wird die Zukunft des Online-Lebensmittelhandel auf den Punkt gebracht: „Grundsätzlich möchte niemand haufenweise Trockeneis nachhause geliefert bekommen. Daher läuft EmmasBox mit einer Kühltechnik, die die Waren frisch hält, bis der Kunde sie abholt.“ Im Hinblick auf den wachsenden Bedarf an Lieferservices einzelner Händler ist sich Michael Reichelt sicher, dass es wenn der Online-Lebensmittelhandel in Deutschland erst einmal funktioniert, viele verschiedene Modelle geben wird. EmmasBox richtet sich nach eigener Aussage an diejenigen, die bis zur letzten Sekunde flexibel bleiben wollen und nicht irgendwann nachhause hetzen, um das vereinbarte Lieferfenster abzusitzen.

 

EmmasBox von open ideas GmbH
Neue Konzepte wie „EmmasBox“ von open ideas GmbH bieten neue Möglichkeiten im Online-Lebensmittelhandel (Bild: open ideas GmbH)

Das Einkaufen wird in Zukunft also nicht nur flexibler, sondern wesentlich individueller. In Zukunft darf der Kunde per App angeben, was er genau nach seinen speziellen Bedürfnissen benötigt. Anhand der Markt-Logistik wird er dann zielstrebig durch den Laden geführt – der kürzeste Weg ohne zusätzliche Warenbeeinflussung, ein sogenanntes Pick up im Markt.

Sprich, viele Konzepte sind in der Mache, viele bereits umgesetzt – ob Amazon in Deutschland mit Amazon Dash und Fresh Erfolg haben wird, bleibt allerdings eine gute Frage. Ich persönlich denke, dass der deutsche Kunde auch weiterhin auf den Markt geht. Seine frische Ware auch wirklich frisch einkaufen möchte. Womöglich den Händler seit Jahren kennt. Dieses Bedürfnis samt Beziehung kann das Internet nicht bieten – das weiß auch Amazon.