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Big Data ist neben Industrie 4.0 wohl der Begriff schlechthin, der derzeit weltweit durch jedes Dorf getrieben wird. Klar, in der modernen Wirtschaft werden Daten immer wichtiger. Kunden äußern sich in sozialen Netzen über Produkte und Services, klicken auf Webseiten, benutzen mobile Endgeräte und setzen diese für immer neue Zwecke ein. Und die zunehmenden Datenmengen, die unterschiedlichen Datenstrukturen sowie die Verarbeitung in Echtzeit fördern Möglichkeiten zu Tage, die nötige Technik zu erfinden und einzusetzen – inklusive den gläsernen Bürger digital darzustellen. Der Datenschutz spielt dabei nur eine Nebenrolle und droht sogar in der Flut an Daten unter zu gehen.

In der Industrie hat Big Data schon lange die Hauptrolle ergattert; zumindest wenn es sich um digitale Themen dreht. Sensoren an Produktionsmaschinen, Flugzeugen, Turbinen, Fahrzeugen oder wissenschaftlichen Geräten erfassen mittlerweile völlig automatisch den Zustand unzähliger Parameter. Medizinische Geräte beispielsweise überwachen bei erkrankten Menschen Lebensvorgänge und melden verdächtige Veränderungen sofort an den Arzt weiter. Was dem medizinischen Fortschritt betrifft, sind wir uns alle einig: Dort hat die Datenerhebung und deren Analyse ihren Sinn. Doch was ist mit Diensten, die für uns zum Alltag gehören und täglich genutzt werden?

Datenschutz: „Der Mensch ist im Internet nicht mehr allein“

Google, Facebook, Microsoft, Apple – sie alle dürfen sich Datenkraken nennen. Selbst ernannte Experten gehen noch einen Schritt weiter und behaupten, dass wir die Datenhoheit an diese Firmen bereits verloren haben. Eine Studie der Deutschen Bank warnt daher Unternehmen, das Misstrauen der Bürger zu unterschätzen. Der Autor der Studie, Thomas F. Dapp, Economist bei Deutsche Bank Research, bringt es im Interview gegenüber der FAZ auf den Punkt: „Es gilt weiter zu denken. Viele Akteure, die das digitale Ökosystem im Netz bestimmen oder die Geheimdienste verursachen Unbehagen. Der Mensch ist im Internet nicht mehr allein, das darf nicht sein.“ Demnach droht Big Data derzeit zu etwas Negativem zu mutieren.

Google und Bing: Antworten auf Nutzerfragen werden genauer

Wie weit Big Data bei Google, Facebook und Co. in Zukunft greifen werden, zeigt der aktuelle eco-Report. Der Verband der deutschen Internetwirtschaft e. V. berichtet über die wachsende Bedeutung der intelligenten und automatisierten Verknüpfung von Daten für Google, Bing und Co. Denn nicht nur die Suchanfragen werden anders aussehen, vielmehr sind rund 50 Prozent der Befragten der Meinung, dass Suchmaschinen 2020 keine klassischen Trefferlisten mehr liefern werden, sondern direkt alltagstaugliche Antworten. Dafür werden riesige Datenmengen und umfangreiche Analysen sowie Auswertungen der einzelnen Nutzer von Nöten sein. Das Motto „Suchen mit Big Data“ bekommt so natürlich ein Gesicht. Der Erfinder des WWW und W3C-Direktor Tim Berners-Lee riskierte bereits für uns den Blick in die Glaskugel. Seiner Meinung nach wird der Nutzen eines semantischen Netzes erst freigesetzt, wenn Menschen beginnen Programme zu entwickeln, die Inhalte aus diversen Quellen sammeln, verarbeiten und mit anderen Programmen austauschen.

Auch das Magazin CIO griff bereits Ende 2013 das Thema Big Data auf. Dort ist vom „arglosen Konsumenten und der Goldmine namens Kundendaten“ die Rede. Was bei den Ausführungen des Redakteurs auffällt? Thomas Storck, Geschäftsführer der Galeria Kaufhof wird dort wie folgt zitiert: „Der Tante-Emma-Ladenbesitzer wusste immer, was seine Kunden wollten. Er wusste auch, was der Kunde sich nicht leisten konnte, und er kaufte entsprechend ein. Das versuchen wir heute auf den Massenmarkt zu übertragen.“ Seine Ausführungen in allen Ehren, doch einen persönlichen Kontakt, die freundliche Bedienung sehe ich bei Big Data nicht wirklich. Gut, die Zeiten ändern sich. Doch meines Erachtens wird die gute alte Zeit, in der der Kunde noch König war, in die schnelllebige zu einfach projiziert. Zumindest will die Bitkom erfahren haben, dass Kunden nicht mehr als anonyme Profile gesehen werden möchten. Vielmehr als Persönlichkeiten mit individuellen Interessen und Bedürfnissen. Der industrienahe Verband fordert in einem White Paper daher auch Unternehmen auf, sehr viel mehr Informationen über ihre Kunden zu verarbeiten als bisher. Merken sie was? Richtig, die Sensibilität bei den Kunden und Nutzern einzelner Techniken wird wohl eher zunehmen. Denn nicht erst seit Edward Snowden wissen wir, wie wertvoll unsere persönlichen Daten sind. Und keine Frage, bei der Sensibilisierung sollte Big Data nicht völlig ignoriert werden. Doch um Big Data zu retten, um es erfolgreich zu rechtfertigen, verlangt beispielsweise Thomas Storck eine Selbstverpflichtung des Handels für die Datensicherheit. Seiner Meinung nach ist das Thema ansonsten „on risk“.

Industrie 4.0 und Big Data

Aber nicht nur im uns bekannten Online-Handel oder bei unserem allgemeinen digitalen Handeln ist die Datenmenge relevanter als der Kunde selbst. Zu Anfang erwähnte ich bereits die „revolutionäre Begrifflichkeit“ Industrie 4.0. Dabei liegt der Fokus der aktuellen Industrie-4.0-Bemühungen auf der Produktions-Automatisierung. Daher auch die vierte industrielle Revolution. Sie katapultiert uns angeblich nach der Automatisierung und der Digitalisierung Anfang des 21. Jahrhunderts in völlig neue vernetzte Sphären. In der Extralogistik sowie Intralogistik, speziell in der Produktionslogistik, ist das Erfassen von Daten über Durchlauf, Nachschub, Zustände der Anlange, freie Kapazitäten der Fördertechnik, Status von Maschinen und letztlich die automatisierte Steuerung – sowohl der Anlage als auch der internationalen Supply-Chain – basierend auf diesen Daten, seit mehr als zehn Jahren fester Bestandteil. Die Revolution ist also digital gesehen eher uralt.

Der Unterschied zu früher ist, dass die Server heute noch am Internet hängen und sich der CEO den Status jeder Maschine und den Standort jedes Mitarbeiters, in Echtzeit, auf dem Golfplatz abfragen oder ändern kann. „Was man sich in dem Zusammenhang auch bewusst machen sollte: Wir machen uns damit ein Stück weit gläsern und angreifbar, denn was der Chef kann, können andere mit hoher Wahrscheinlichkeit auch. Spätestens seit Edward Snowden wissen wir, dass es 100%ige Sicherheit nur in den Broschüren der Systemanbieter gibt“ mahnt Mathias Thomas, Geschäftsführer von Dr. Thomas + Partner und gaxsys. „Und Industriespionage ist, speziell im Bereich der Produktion, zu einem der mächtigsten Wirtschaftsverbrechen avanciert.“

Wir sollten uns fragen, ob wir wirklich jede Schraube mit dem Internet verbinden sollten, ob über jeden Mitarbeiter ein Bewegungsprotokoll gespeichert werden sollte. Das ist sicher ein riesen Spaß für den Controller; und auch die Hardware-Lieferanten freuen sich über ein paar zusätzlich verkaufte Festplatten und Sensoren. Doch Projekte und Services werden auch in Zukunft auf Schnelligkeit und eine noch höhere Informationsdichte achten. Sprich, Anbieter werden verstärkt auf die neuste Technik setzen, eben um noch mehr Details erfassen zu können. Details, die auf Kosten des Bürgers und auf die Innovationskraft des einzelnen Projektes gehen. Speziell letztere werden in Zukunft unter dem Vertrauensbruch der Nutzer leiden.