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Wer sich schon mal durch Publikationen, Antragsformulare oder Sicherheitsdokumente gekämpft hat, kennt das Problem gut: Die Suche nach relevanten Informationen ist oft frustrierend und dauert. KI kann dabei helfen, Informationen schneller zu finden und Zusammenhänge sichtbar zu machen. Sinan Sen, Geschäftsführer von Datalyxt, ist einer der Experten hinter einem KI-Projekt innerhalb des Kompetenzzentrum KARL. Im Gespräch mit Ariane Lindemann erklärt er, wie diese Technologie monotone und repetitive Aufgaben von Wissensarbeiter:innen erleichtert und komplexe Informationen einfacher zugänglich macht.

Sinan, welche spezifischen Herausforderungen gibt es für Wissensarbeiter:innen bei der Suche nach relevanten Informationen?

Eine der größten Herausforderungen ist es, sich überhaupt erst einmal einen Überblick zu verschaffen. Wenn jemand ein neues Themengebiet betritt, fehlt oft das Vokabular, um gezielt nach relevanten Informationen zu suchen. Hier setzt KARL an: Wir nutzen KI, um relevante Begriffe vorzuschlagen, die den Horizont erweitern und neue Erkenntnisse ermöglichen.

Oft bleibt zudem wertvolles Wissen unentdeckt, weil es in einer anderen Terminologie oder Fachsprache beschrieben wurde. Wer beispielsweise nach „Cybersecurity“ sucht, aber das relevante Paper den Begriff „Informationssicherheit“ verwendet, würde ohne semantische Suche diese wichtigen Informationen verpassen. Wir lösen dieses Problem, indem wir nicht nur nach exakten Wortübereinstimmungen suchen, sondern inhaltliche Zusammenhänge erkennen und vorschlagen.

Die zweite große Hürde ist dann das tiefergehende Verstehen der Thematik. Der klassische Suchansatz mit Schlagworten ist oft nicht ausreichend. Unsere KI zeigt nicht nur direkte Treffer, sondern auch sinnverwandte Begriffe – und damit Zusammenhänge, die sonst mühsam erarbeitet werden müssten.

Welche Rolle spielt KI dabei genau? Geht es um eine vollständige Automatisierung?

Nein, ganz und gar nicht. Unsere KI ist ein Assistenzsystem. Sie hilft, Informationen schneller zu finden und sinnvoll zu verknüpfen, ersetzt aber nicht die menschliche Expertise. Wer wissenschaftlich arbeitet, wird durch KARL nicht überflüssig, sondern kann sich auf das Wesentliche konzentrieren. Die KI nimmt einem die monotone Suche ab, aber die Analyse bleibt beim Menschen. 

Klassische Suchmaschinen funktionieren wortbasiert. Euer System setzt auf semantische Suche. Was ist der Vorteil?

Stell dir vor, du suchst nach „Handschutz“ in einer Datenbank, aber das relevante Dokument enthält nur den Begriff „Handschuhe“. Eine wortbasierte Suche würde dieses Dokument nicht finden, während unsere KI erkennt, dass die Begriffe inhaltlich zusammenhängen.

Dasselbe gilt für wissenschaftliche Begriffe: Wer nach „KI“ sucht, könnte auch relevante Dokumente zu „maschinellem Lernen“ oder „Neuronalen Netzen“ finden, obwohl diese Begriffe nicht direkt in der Anfrage vorkommen.

Diesen Mechanismus nutzen wir auch, um neue Trends und Forschungsschwerpunkte zu identifizieren. Unsere KI kann Forschungslücken aufzeigen oder vorschlagen, in welchen angrenzenden Disziplinen relevante Entwicklungen stattfinden. So wird nicht nur Wissen gefunden, sondern es entstehen neue Forschungsansätze. 

Kannst du ein konkretes Beispiel geben, wie Forschende von eurer KI profitieren?

Ein Beispiel: Ein:e Wissenschaftler:in forscht an nachhaltigen Materialien für die Bauindustrie. Statt nur Ergebnisse zur ‚Betonoptimierung‘ zu erhalten, schlägt unsere KI verwandte Begriffe wie ‚Geopolymer-Beton‘ oder ‚Carbonfaserverstärkung‘ vor – ein Ansatz, der ohne semantische Suche übersehen werden könnte.

Diese Technologie ist aber nicht nur für Forschende interessant. In der Arbeitssicherheit etwa nutzen Unternehmen unser System, um in komplexen Sicherheitsdokumenten relevante Vorschriften schneller zu identifizieren. Sie erkennt automatisch, dass „Handschutz“ und „Schutzhandschuhe“ das gleiche meinen – und erleichtert so die Einhaltung von Vorschriften.

Das Konzept der „Explainable AI“ (XAI) ist ein wichtiger Bestandteil eurer Forschung. Warum ist das so entscheidend?

Viele KI-Modelle sind eine „Blackbox“ – sie liefern Ergebnisse, aber niemand versteht, warum. In KARL zeigen wir genau, welche Faktoren zu einem bestimmten Suchergebnis geführt haben. Das schafft Vertrauen, denn die Nutzer:innen können nachvollziehen, warum eine bestimmte Information als relevant eingestuft wurde. Das verbessert nicht nur die Akzeptanz, sondern hilft auch, die eigenen Suchstrategien zu optimieren. 

Wie hilft die Erklärbarkeit konkret? Kannst du ein Beispiel geben?

Discovery hebt farblich hervor, welche Begriffe besonders relevant für eine Suche waren. Wenn jemand beispielsweise „Künstliche Intelligenz in der Medizin“ eingibt, zeigt Discovery farblich an, dass „Deep Learning“ und „Neuronale Netze“ stark gewichtet wurden – und dass „Expertensysteme“ eine weniger wichtige, aber trotzdem interessante Rolle spielen. So kann die Person ihre Suche gezielt verfeinern.

Wo könnten solche KI-Systeme noch eingesetzt werden?

Unser Demonstrator zeigt, wie die Technologie in der wissenschaftlichen Publikationssuche funktioniert. Aber das Prinzip lässt sich leicht auf andere Bereiche übertragen: Arbeitssicherheit, Compliance, Umweltschutz oder Innovationsmanagement sind nur einige der Felder, in denen eine semantische Suche große Vorteile bringt.

Gerade in Bereichen wie dem Arbeitsschutz, wo Dokumente oft in Fachjargon verfasst sind, hilft unsere KI dabei, relevante Vorschriften schneller zu finden und korrekt zu interpretieren. Auch Unternehmen, die sich mit regulatorischen Vorschriften auseinandersetzen müssen, profitieren von unseren Verfahren.
Die entwickelten Konzepte planen wir auch in unsere KI-Lösung für das Gefahrstoffmanagement SdbHub zu übertragen.

Gibt es schon erste Ergebnisse aus dem Kompetenzzentrum KARL?

Ja, wir haben Demonstratoren entwickelt, die bereits live sind. Interessierte können sie ausprobieren und sehen, wie die KI ihre Suchanfragen unterstützt. Das Feedback ist sehr positiv. Viele Nutzer:innen müssen sich zwar erst an die neue Art des Suchens gewöhnen, aber sobald sie die Möglichkeiten verstanden haben, sind sie begeistert.

Wie siehst du die Zukunft der KI in der Wissensarbeit?

Die Nachfrage nach intelligenten Assistenzsystemen wird weiter steigen. Wir stehen erst am Anfang der Entwicklung, aber es ist klar, dass semantische Suche, XAI und KI-gestützte Informationsverarbeitung zunehmend zum Standard werden. Ziel ist es, nicht nur den Zugang zu Wissen zu verbessern, sondern auch die Art und Weise, wie wir Wissen generieren, effizienter zu gestalten. KARL ist ein erster, wichtiger Schritt in diese Richtung.

Über KARL

KARL ist eines von aktuell 13 regionalen Kompetenzzentren und zwei wissenschaftlichen Begleitprojekten, das die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz (KI) auf die Lern- und Arbeitswelt untersucht. Ziel von KARL ist es, menschenzentrierte, transparente, lernförderliche und KI-unterstützte Arbeits- und Lernsysteme zu konzipieren und in konkreten Praxisanwendungen vorzeigbar zu machen.

Die Region Karlsruhe mit dem nationalen Digital Hub für angewandte KI und einem der führenden IT-Cluster in Europa bietet dafür großes Entwicklungspotenzial. Konsortialführer ist die Hochschule Karlsruhe.

Zum Projektkonsortium gehören neben neun Forschungs- und Transferpartnern auch elf regionale Unternehmen sowie das CyberForum, das eine zentrale Rolle in der Öffentlichkeitsarbeit, im Community-Management sowie im Nachhaltigkeitskonzept übernimmt.

Bis 2026 wird KARL vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit knapp acht Millionen Euro gefördert.