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Der Energiemarkt hat viele Eigenheiten. Eine davon: Er bestraft schlechte Vorhersagen härter als schlechte Entscheidungen. Wer zu spät merkt, dass eine PV-Anlage morgen weniger liefert als gedacht oder ein Industriebetrieb mehr verbraucht als geplant, zahlt mitunter Preise, die man eher aus exotischen Rohstoffmärkten kennt.

Reasonance, ein kleines Karlsruher Team um Todor Kostov, arbeitet genau an dieser Sollbruchstelle. Sie haben gerade den CyberChampions Award gewonnen, weil sie ein technisches Problem ernst nehmen, das viele erst dann bemerken, wenn die Rechnung kommt.

Warum ein Tag den Unterschied macht

Im Gespräch mit Todor entsteht schnell der Eindruck, dass die meisten Missverständnisse über Energie nicht technischer Natur sind, sondern zeitlicher. Der Strommarkt denkt immer mindestens einen Tag voraus. Heute um die Mittagszeit müssen Erzeuger und Verbraucher:innen angeben, was sie morgen liefern oder verbrauchen. Diese Zahlen entscheiden darüber, wie viel Energie gekauft, verkauft und abgesichert wird.

Dass diese Prognosen regelmäßig danebenliegen, ist kein Geheimnis. Was weniger bekannt ist: Die daraus entstehenden Kosten haben manchmal horrende Dimensionen: An einzelnen Tagen lagen Ausgleichsenergiepreise bei über 3.000 Euro pro Megawattstunde. Niemand spricht gern darüber. Zahlen wie diese ruinieren keine Großkonzerne, aber sie bestimmen ihr Verhalten. Todor nennt das nüchtern „ein Markt, der auf Unsicherheiten basiert, die vermeidbar wären“.

Was Reasonance tatsächlich tut

Es wäre leicht, Reasonance als KI-Startup zu etikettieren. Das trifft es nicht. Die Technologie ist Nebensache, zumindest in der Außendarstellung. Im Kern geht es darum, das Verhalten eines Energiesystems so vorherzusagen, dass Entscheidungen weniger falsch sind als bisher: Wie viel eine Fabrik am nächsten Tag verbrauchen wird. Wie viel eine PV-Anlage wirklich liefert. Wann ein Speicher laden soll, wann er lieber still bleibt. Welche Kombination dieser Faktoren Kosten vermeidet, statt sie zu erzeugen.

Es sind Entscheidungen, die in vielen Unternehmen niemand aktiv trifft, sondern die einfach passieren. Reasonance macht sie sichtbar. Und korrigierbar.

Ein Beispiel aus der Schweiz zeigt, wie weitreichend das sein kann: Dort wird Reasonance bald ein komplettes Energieportfolio steuern – inklusive Wasserkraft, Pumpspeichern und Batterie. Die erwarteten Endkundentarife liegen bei ungefähr elf Cent. Eine Zahl, die man zweimal liest, weil sie dem deutschen Alltag seltsam entrückt wirkt.

Der Produktionsplan ist heilig

Interessant ist, wie wenig Reasonance mit dem klassischen Startup-Gewand anfangen kann.
Während andere über „Dekarbonisierung“ und „große Visionen“ sprechen, redet Todor über die Realität in Produktionshallen. Über Maschinen, die nicht auf Sonnenstand oder Wind warten können. Über Schichtpläne, die nicht wegen Marktschwankungen verschoben werden.

„Der Produktionsplan ist heilig“, sagt er. Ein Satz, der genau das beschreibt, was die Industrie seit Jahren betont: Energie muss sich an die Realität anpassen, nicht umgekehrt. „Am Ende machen wir eure Energie billiger und ein bisschen grüner.“

Erst verstehen, dann skalieren

Dass Reasonance diesen Ansatz verfolgt, hat mit Todors Weg zu tun. Er kommt aus der Forschung, nicht aus der Pitch-Kultur. Er war Mitarbeiter Null eines Projekts, als das Unternehmen hinter ihm noch gar nicht existierte. Er hat Prognosen gebaut, bevor Prognosen im Energiemarkt als „strategisches Asset“ galten.

Diese Haltung – erst verstehen, dann skalieren – hat dazu geführt, dass Reasonance ein Jahr lang kaum Produkt, aber viele Gespräche hatte. Mit Stromhändlern, Netzbetreibern, Versorgern, Industriekunden in der Schweiz, Spanien, Portugal, Frankreich, Benelux. „Wir wollten wissen, wie der Markt wirklich funktioniert und nicht, wie er in Präsentationen aussieht“, sagt Todor.

Versteht der Markt was wir machen?

Dass Reasonance heute wächst, hat viel mit Marktmechanik zu tun. Wenn Prognosen präziser sind, werden Beschaffungen günstiger. Wenn Beschaffungen günstiger sind, werden Preise robuster.

Das CyberLab spielt dabei eine ungewohnt pragmatische Rolle. Als ein Ort, an dem man Menschen trifft, die Fragen stellen, die man selbst übersieht. „Wenn ich es jemandem aus einer anderen Domäne nicht erklären kann“, ist Todor überzeugt, „dann versteht später auch ein großer Teil des Marktes nicht, was wir tun.“ Es ist ein unspektakulärer Satz. Möglicherweise der wichtigste im ganzen Gespräch.

Weniger Fehler

Reasonance ist kein Startup, das verspricht, das globale Energiesystem umzukrempeln. Sie konzentrieren sich auf das, was in der Praxis am meisten kostet: Prognosefehler, schlechte Steuerung, falsche Annahmen. Hier liefern sie einen technischen Beitrag, der schlicht messbar ist.

Eine ehrliche Beschreibung wäre vermutlich: Sie reduzieren Komplexität auf das, was zählt.
Und sie machen Fehler seltener. Im Energiemarkt ist das mehr, als viele zugeben.

Dieser Artikel wurde in Kooperation mit dem CyberLab Karlsruhe erstellt. Das CyberLab ist die zentrale Anlaufstelle für Startups und Gründungsinteressierte im IT-Bereich.
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