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Informatik als Unterrichtsfach ist in Deutschland keine Regel. Um Zukunftschancen nicht zu verpassen und hinsichtlich IT-Kompetenz konkurrenzfähig zu bleiben, muss an Deutschlands Schulen das Pflichtfach Informatik eingeführt werden.

Mit dieser Forderung steht der Autor dieser Zeilen nicht allein da. Laut einer repräsentativen Umfrage des Bundesverbands Informatikwirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM) befürworten 78 Prozent der Bundesbürger die Einführung des Pflichtfachs Informatik. Neben der zusätzlichen Belastung, die lediglich jeder fünfte Bundesbürger als akzeptabel betrachtet, ist das größte Hindernis der deutschlandweiten Einführung von Informatik aber der Föderalismus, da Bildung Ländersache ist. Statt von zentraler Stelle und nach einheitlichen Vorgaben, wie diese beispielsweise die Gesellschaft für Informatik im Rahmen der Bildungsstandards Informatik fordert, bleibt die Planung den Bundesländern überlassen. Von dieser Möglichkeit haben bisher aber lediglich Bayern, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg Gebrauch gemacht. Statt Fortschritt probt man in der Hansestadt aber bereits wieder die Rolle rückwärts.

War Informatik an den Stadtteilschulen – einer Kombination aus Hauptschule, Realschule und Gesamtschule – bisher im Rahmen vom Lernbereich Naturwissenschaft und Technik Pflicht, wird dieser Fächerkanon wieder aufgelöst und Informatik zum Wahlpflichtfach degradiert. Auf diesem Level konkurriert das Fach nun wieder mit Wirtschaft, Darstellendes Spiel oder Latein um die Gunst der Schüler. Auch die überwältigenden Einwände von Schülern, Lehrern und Eltern konnten Schulsenator Ties Rabe (SPD) nicht überzeugen. Die Landesfachgruppe für Informatik-Lehrer in Schleswig-Holstein und Hamburg (SH-HILL) sah aber nicht die inhaltliche Ausrichtung als Problem, sondern die Organisation. Geht es nach der Landesfachgruppe, führt am Pflichtfach Informatik kein Weg vorbei, um nicht den Anschluss zu verlieren. Anders der Schulbehördensprecher: „Etwas salopp formuliert: Alle sollten in einer mobilen Gesellschaft ein Auto fahren können. Aber nicht alle müssen auch wissen, wie es im Detail funktioniert oder gebaut wird.“

Querschnittswissen statt reiner Programmierung

Dabei wäre in den Schulen durchaus Potential vorhanden. Das Argument, die neue Technik würde Lehrer überfordern, widerlegen aktuelle Zahlen. Neun von zehn Lehrern sehen elektronische Medien positiv, sogar jeder sechste (17 Prozent) gehört zu der Gruppe, die sich als „Technik-Fan“ bezeichnet. Bei den Mathe-, Informatik- und Naturwissenschaftslehrern sind sogar 25 Prozent Technik-Fans, so eine BITKOM-Studie. Was hingegen fehlt, ist die Technik. PCs und Notebooks sind zwar vorhanden, die boomenden Tablets sind hingegen Mangelware.

Was Hamburgs Bildungssenator nicht berücksichtigt, ist die große Nachfrage nach ITK-Kompetenz. 80.000 neue Stellen sind in der Informationstechnologie in den vergangenen vier Jahren entstanden, allein 10.000 werden es Ende dieses Jahres sein, so BITKOM-Chef Dieter Kempf in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Davon ist mit etwa 40.000 aber nur die Hälfte besetzt. Einer der Gründe ist laut Kempf das fehlende Interesse unter Schülern und Studierenden. Vor allem unter Frauen gilt es, das Interesse am Programmieren zu wecken, wie eine BITKOM-Studie vom März 2014 zeigt. Danach kommen auf sechs männliche IT-Spezialisten nur eine Frau mit gleichwertigem Wissen.

Neben den reinen Programmierkenntnissen ist vor allem Querschnittswissen gefragt: Oberflächen-Design, mobile Apps und Beratung professioneller Anwender. Statt Kommunikation mit dem Rechner im stillen Kämmerlein ist Kommunikation mit Menschen als sogenannter Schnittsteller gefragt. Die Entwicklung des Frauenanteils ist laut Kempf zumindest leicht positiv. Bei den Erstsemestern in Informatikstudiengängen sind mit 22 Prozent fast ein Viertel Frauen in den Hörsälen vertreten. Die Forderung des BITKOM-Chefs: Fordern, Fördern und künstliche Hürden in Form von Pflichtnebenfächern abbauen.

Pflichtfach Informatik: Frühe Förderung durch Lehrmittelfreiheit

Eine solche Förderung, die bereits in der Grundschule ansetzen kann, ist die Lehrmittelfreiheit. Dahinter steckt mehr als die reine Digitalisierung von Lehrbüchern und den Wechsel auf Tablets. Nicht nur ergibt sich durch den Wechsel des Lehrmittels ein Komfortvorteil, da mit weniger Aufwand Zugriff auf mehr Material besteht, die digitalisierten Lehrmittel können auch einfacher bearbeitet werden. Nachträgliche Korrekturen? Kein Problem. Erweiterungen? Mit wenigen Klicks umzusetzen. Um diese und mehr Möglichkeiten im Rahmen von Open Educational Ressources (OER) nutzen zu können, muss der freie Zugang zu Lehrmitteln gewährleistet sein, die Lizenz eine Verarbeitung erlauben und Software zur Bearbeitung angeboten werden. Sind diese Voraussetzungen geschaffen, ist der Weg zum sinnvollen Einsatz von Tablets an Schulen geebnet, und damit auch die Möglichkeit, den Nachwuchs bereits im Grundschulalter für IT zu begeistern.

Dennoch ist die Verbreitung des OER-Ansatzes in Deutschland noch relativ zurückhaltend. In einem White Paper des Vereins D64 nennt Leonhard Dobusch von der Freien Universität Berlin eine ganze Reihe von Faktoren, allen voran die geringe Bekanntheit des Konzepts. Auch Aspekte wie Lizenzierung, fehlende Fördergelder und nur geringfügige Investitionen der Länder tragen ebenfalls nicht zu einem begünstigendem Klima bei. Der bereits genannte Bildungsförderalismus ist laut Dobusch das größte Hindernis zum Erreichen von Größenvorteilen.

Wie die Zukunft freier Bildungsmaterialien gestaltet und beschleunigt werden könnte, zeigen Experten am 12. und 13. September im Rahmen der OERde14-Konferenz in Berlin. Neben einem umfassenden Überblick über den Stand von freien Bildungsmaterialien sind Profis im Rahmen von offenen Workshops eingeladen, selbst Sessions und Diskussionen zum Thema zu veranstalten.

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