Im Alltag von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sind Führungskräfte und Mitarbeitende oft gleichzeitig mit vielen Rollen, Projekten und kurzfristigen Anforderungen konfrontiert. Emails, Meetings, Kundenanfragen und interne Abstimmungen reißen den Tag in Stücke – die Folge: Zunehmender Stress, fehlende Klarheit und das Gefühl, trotz hoher Aktivität wenig Wirkung zu erzielen. Genau hier setzte der Workshop von Frauke Schöttke im CyberForum an: Wie können KMU ihre Energie gezielt einsetzen, statt sich im Detailchaos zu verlieren?
Die Grenzen von Zeitmanagement in KMUs
Gerade in kleineren Organisationen fehlen oft klare Strukturen, weil viele Themen parallel bearbeitet werden müssen. Schöttke machte deutlich: Klassisches Zeitmanagement reicht hier nicht mehr aus. Laut einer Studie gehen im Schnitt fünf Arbeitstage pro Monat pro Vollzeitkraft durch Unterbrechungen und irrelevante Meetings verloren. Das summiert sich schnell – besonders in Teams, die ohnehin knappe Ressourcen haben. Für KMUs bedeutet das: Jede Stunde Fokuszeit ist ein Wettbewerbsvorteil.
Ein zentrales Bild im Workshop war die „Stresskurve“. Zu wenig Druck führt zu Trägheit, zu viel zu Überlastung – beides mindert die Problemlösefähigkeit. Richtig dosiert kann Stress jedoch die Leistungsfähigkeit steigern. Für KMU-Teams heißt das: Eine Stunde bewusst geschaffene Fokuszeit pro Tag reicht, um das Stresslevel messbar zu senken und bessere Entscheidungen zu ermöglichen. Das steigert nicht nur die Produktivität, sondern auch die Qualität der Zusammenarbeit.
Praktische Werkzeuge für den KMU-Alltag
Schöttke stellte zwei Methoden vor, die besonders für KMUs praxisnah sind:
1) Der Fokus-Kompass
Der Fokus-Kompass ist eine Selbst-Beobachtungs- und Analyse-Matrix.
Die Matrix hat zwei Achsen:
Aktiv vs. Reaktiv: Handeln wir gezielt und bewusst oder reagieren wir nur auf äußere Impulse?
Innen vs. Außen: Kommt die Steuerung aus uns selbst oder wird sie von äußeren Faktoren bestimmt?
Dadurch ergeben sich vier Quadranten:
Intentionaler Fokus (aktiv & innen)
- Konzentration, Motivation, Flow-Momente, klare Zielverfolgung
- Beispiel: Du arbeitest fokussiert an einem Projekt und lässt Dich durch nichts und niemanden ablenken, weil Du weißt, worauf es jetzt ankommt.
Teamfokus (aktiv & außen)
- Strukturierte Meetings, lösungsorientierte Kommunikation, gemeinsame Klarheit
- Beispiel: Dein Team zieht an einem Strang, Meetings sind konstruktiv, Kommunikation ist zielgerichtet und zweckdienlich: Projektabsprachen finden z.B. immer dienstags statt, Mails werden gesammelt und gezielt beantwortet.
Streufokus (reaktiv & innen)
- Du fühlst Dich überfordert, vieles ist unklar. Du arbeitest an zig Dingen gleichzeitig und es kommt meistens irgendwas dazwischen. Du ertappst Dich beim Aufschieben und fragst Dich ständig: „Mache ich das Richtige?“
- Beispiel: Du sagst „Ja“, wenn Du „Nein“ meinst, fühlst du Dich getrieben und fremdgesteuert und abends denkst Du Dir: „was habe ich eigentlich geschafft?“
Chaos (reaktiv & außen)
- Viele Baustellen, Unterbrechungen, keine Kontrolle über Zeit
- Beispiel: Ein Team springt ständig zwischen Themen, ohne klare Priorisierung. Es kommt gefühlt alles gleichzeitig, weil zeitliche und / oder inhaltliche Strukturen fehlen.
Anwendung:
Der Fokus-Kompass eignet sich besonders für Führungskräfte, um zu erkennen:
- Wo steht mein Team?
- Wo stehe ich selbst?
- Wo kann ich jetzt ansetzen – bei mir oder in der Struktur?
2) Das Bullet Journal
Das Bullet Journal ist ein handgeschriebenes Organisationssystem, das Klarheit schafft und die Selbstwahrnehmung stärkt.
Die Methode basiert auf dem Intentional Cycle:
Als erstes fassen Sie eine Intention, eine Absicht. Wovon wollen Sie mehr oder weniger in Ihrem (Arbeits-)Leben? Wo wollen Sie hin? Wenn Sie Ihre Intention gefasst haben, können Sie alles, was Sie tun, und erleben damit abgleichen und nachsteuern.
- Record: Sie notieren alles, was Sie für „noteworthy“, also be-MERKENswert, halten. Dadurch generieren Sie einen kurzen Bericht dessen, was Ihren Tag ausmacht.
- Reflect: Sie schauen Sich in verschiedenen Intervallen Ihre Notizen durch, denken darüber nach und gleichen das, was Sie notiert haben, mit Ihrer Intention ab.
- Refine: Sie sortieren Ihre Gedanken und Einträge, machen neue Pläne und steuern nach.
- Respond: Weil Ihnen nun klar ist, worauf es ankommt, handeln Sie bewusst.
- Ereignisse, Gedanken, Aufgaben und Gefühle werden so sichtbar gemacht.
Wieso führt man ein Bullet Journal am besten von Hand?
Auch in digitalen Zeiten schreiben die meisten Menschen intuitiv das, worauf es wirklich ankommt, immer noch von Hand: Auf Zettel, Blöcke oder in Notizheften. Und manche auch im ReMarkable oder auf dem Ipad – mit dem Pencil.
Das macht Sinn:
- was von Hand geschrieben wird, bleibt im Kopf. Audry van der Meer von der Universität Trondheim hat 2024 nachgewiesen: Handschreiben verbessert die Merkfähigkeit.
- 2014 gab es den Nobelpreis für die Entdeckung des Prinzips für „räumliche Orientierung“ im Gehirn. Damit unser Navigationssystem funktioniert, brauchen wir eine innere Landkarte mit Ankerpunkten. Christian Doeller vom MPI Leipzig hat festgestellt, dass das Prinzip auch beim Aufbau kognitiver Räume funktioniert. Wir denken auch Probleme, Projekte und Beziehungen räumlich. Damit wir darin navigieren können, brauchen wir Ankerpunkte im Kopf – und die entstehen eher, wenn wir von Hand schreiben.
Die Vorteile von Bullet Journaling:
- Schreiben von Hand sorgt dafür, dass wir die wichtigen Dinge erinnern, und das Erinnern hilft uns dabei, uns an den wichtigen Dingen zu Orientieren. Das zeigt sich in der Ruhe, Klarheit und Zielstrebigkeit, die sich beim Bullet Journaling meist innerhalb kurzer Zeit einstellt.
- Die Notizen im Bullet Journal basieren auf vier Aufzählungszeichen (Bullets). So können Sie auf einen Blick unterscheiden, was Sie erleben (z.B. Meetings), was Sie tun (ToDos), was Sie denken (Zahlen, Daten, Fakten, Ideen) und was Sie fühlen. Dadurch werden Ihre Notizen präziser und die ToDo-Listen schlanker.
- Gerade der „Mood“ Bullet, mit dem das Befinden notiert werden kann ist in Stress-Situationen sehr hilfreich: Dr. Dan Siegel von der UCLA hat das Prinzip „Name it to tame it“ beschrieben – was Du benennst, kannst Du beherrschen. Bewusstes Benennen von Gefühlen beruhigt die Amygdala und reduziert so Stress. Sie gewinnen emotionale Klarheit und lernen, Ihre Bedürfnisse zu erkennen.
Praktische Anwendung:
Alles, was Sie tun, orientiert sich am Intentional Cycle. Sie machen Notizen, schauen zurück, denken nach und handeln dann bewusst. Und das fortlaufend. Wer sich Zeit nimmt, gewinnt Zeit für die wirklich wichtigen Dinge.
- Tagesplanung: Maximal drei Aufgaben pro Tag → erhöht Zufriedenheit und Fokus.
- Reflexion: Regelmäßige Rituale und Rückblicke (z.B. zum Wochen- oder Monatswechsel) helfen, Muster zu erkennen und Prioritäten zu setzen.
- Collections: Thematische Seiten für Projekte, Ideen, Ziele oder Gefühle, die im Laufe der Zeit entstehen. Sie spiegeln Ihre Denkstruktur und Ihre Themenbereiche wieder.
Checkliste für Führungskräfte: Fokus im Team stärken
Führung beginnt mit Klarheit – besonders in kleinen und mittleren Unternehmen, wo Vielseitigkeit und Tempo den Alltag prägen. Um Teams wirksam zu unterstützen, braucht es nicht nur gute Absichten, sondern konkrete Maßnahmen. Die folgende Checkliste bietet praxisnahe Impulse, wie Führungskräfte den Fokus im Team fördern und gleichzeitig Raum für Reflexion und Eigenverantwortung schaffen können.
- Zeitfenster klären: Vereinbaren Sie feste Tage oder Uhrzeiten für Projektabstimmungen und Mails.
- Vorbild sein: Zeigen Sie selbst, wie Prioritäten gesetzt werden – inklusive Pausen.
- Reflexion teilen: Geben Sie Einblicke in Ihre eigenen Rückblicke, um Transparenz und Vertrauen zu schaffen.
- Fokuszeiten schützen: Ermutigen Sie Ihr Team, mindestens eine Stunde pro Tag ohne Unterbrechungen zu arbeiten.
- Störungen reduzieren: Hinterfragen Sie Meetingroutinen und prüfen Sie, welche Termine wirklich nötig sind.
Fazit: Klarheit als Wettbewerbsfaktor
Der Workshop machte deutlich: Für KMUs ist Fokus nicht nur eine individuelle Fähigkeit, sondern ein Erfolgsfaktor für das ganze Unternehmen. Wer Klarheit über Ziele und Prioritäten schafft – bei sich selbst und im Team – reduziert nicht nur Stress, sondern gewinnt auch Handlungsspielraum. Strukturen wie der Fokus-Kompass oder das Bullet Journal bieten dafür einfache, direkt anwendbare Hilfen. Am Ende gilt: Fokus ist kein Luxus, sondern die Basis, damit KMUs ihre knappen Ressourcen wirksam einsetzen können.
Branchenzentriert qualifizieren
Im Rahmen des Aufrufs „Branchenzentriert qualifizieren – Zukunft sichern“ wird durch das ESF-Plus Projekt „Branchen-Quali-Digital“ die IKT-Branche in Baden-Württemberg durch branchenzentrierte Qualifizierung zukunftsfähig aufgestellt, damit sie Treiber von Innovation und gesamtwirtschaftlichem Wachstum in nahezu allen anderen Wirtschaftsbereichen bleibt. Kofinanziert vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Landes Baden-Württemberg.