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Product, Price, Place, Promotion: Die vier Ps für den Marketing-Mix sind bei großen Unternehmen fest verankert. Start-ups fehlen anfangs nicht nur die finanziellen Ressourcen, sondern auch das Know-how, um mit ihrem Produkt zu wachsen. Die günstige Alternative: Growth Hacking.

Das Buzzword, das derzeit mit Blick auf die verhältnismäßig geringen Ressourcen vor allem bei Start-ups und KMUs eine große Rolle spielt, ist schnell entmystifiziert: „Growth“ steht für die einzige Aufgabe des Growth Hackers, das Vorantreiben des Wachstums eines schnell skalierbaren Geschäftsmodells. Das „Hacking“ bezieht sich hingegen weniger auf kryptische Befehlsketten und mehr auf das Finden einer kreativen Lösung, abseits des teuren, klassischen Marketings.

PS: I love you

Ein gutes Beispiel für Growth Hacking lieferte der E-Mail-Anbieter Hotmail bei seiner Gründung 1995. Das Fundament der Kampagne war das für jedes Growth Hacking benötigte Produkt mit „Haben will!“-Faktor, der für damalige Verhältnisse revolutionäre gleichnamige E-Mail-Dienst.

Einer klassischen Plakat- und Radiokampagne schob Hotmails Risikoinvestor Tim Draper einen Riegel vor, nicht jedoch ohne Gegenvorschlag, für den er sich von einer Lesung aus seiner Studentenzeit inspirieren ließ: Tupperware-Partys. „Könntet ihr eine Nachricht an den unteren Bildschirmrand einbinden? Eine Nachricht die bleibt, die auch in jeder weitergeleiteten E-Mail erscheint?“ Die Gründer Sabeer Bhatia und Jack Smith fanden zunächst Gefallen an seinem Vorschlag „PS: I love you. Get your free email at HoTMail“ und starteten den Dienst am 4. Juli 1996.

Das geringe Wachstum gab Draper Rückenwind und die beiden Hotmail-Gründer entschieden sich für eine abgeschwächte Version: „Get your free email at HoTMaiL.“ Von einigen Hundert Registrierungen pro Tag schoss die Anmeldequote innerhalb einer Stunde auf 3.000 pro Tag. Sechs Monate später konnte Hotmail eine Million Anwender verzeichnen. Mit einem simplen Link machte Hotmail jeden Benutzer des Dienstes zum unbezahlten Vertreter. Zum Vergleich: Der Konkurrent Juno gab 20 Millionen US-Dollar für Marketing aus, erreichte aber nur ein Drittel von Hotmails Nutzerbasis.

Hotmails Beispiel folgten andere Unternehmen. Der Cloudspeicher-Anbieter Dropbox steigerte die Zahl seiner Anwender durch kostenlosen Speicherplatz für jeden eingeladenen Freund. Der Übernachtungs-Vermittler Airbnb entwickelte ein Werkzeug, mit dem seine Kunden mit wenigen Klicks eine optisch ansprechende Anzeige auf dem in den USA sehr beliebten Anzeigenportal Craigslist erstellen konnten. Statt ein eigenes Portal aufzubauen, klinkte sich das Unternehmen einfach in das bereits 50 Millionen Anwender starke Netzwerk ein.

Darauf kommt es beim Growth Hacking an

Obwohl die Produkte der beispielhaft genannten Unternehmen komplett unterschiedlicher Natur sind, sind die Parallelen unverkennbar:

1. Der Grundbaustein ist ein ausgereiftes Produkt, für das ein Markt vorhanden ist – der sogenannte „product/market fit“, wie Sean Ellis, Gründer und CEO von Qualaroo und GrowthHackers.com den ersten Schritt der Startup-Pyramide beschreibt. Antworten auf die Frage „Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie das Produkt nicht mehr verwenden könnten?“ 40 Prozent oder mehr mit „sehr enttäuscht“, muss noch mehr Arbeit in das Produkt fließen, bis der „market/product fit“ erreicht ist. Ab diesem Zeitpunkt lohnt sich die Investition in das eigene Wachstum.

2. Die zweite Parallele ist der Vertrauensvorschuss. Diesen erhalten Unternehmen entweder durch die Empfehlung von einem Freund wie im Fall von Hotmail und Dropbox oder aber indem Kunden sehen, dass ein Produkt tatsächlich funktioniert, wie im Beispiel von Airbnb.

3. Vor allem aber verbreiteten alle Unternehmen ihre Nachricht auf bis dato konkurrenzlosen Wegen. Zu Hotmails Zeiten gab es keine Werbung in E-Mails, Dropbox war der erste Dienst bei dem man sich Daten „verdienen“ konnte, und Airbnb setzte als erstes Unternehmen auf die vorhandene Nutzerbasis einer anderen Plattform, Reddit.

Neue Kanäle, neue Herausforderungen und Chancen

Die Notwendigkeit neuer Kanäle hat vor allem mit unserer IT-basierten Gesellschaft zu tun. Kanäle wie Pinterest oder Snapchat entstehen quasi über Nacht, während bisherige Kanäle entweder verschwinden oder sich aber die Aufmerksamkeit mit mehreren anderen Kanälen teilen müssen. Auch innerhalb des Kanals müssen sich die werbenden Unternehmen Aufmerksamkeit mit den Konkurrenten teilen. Vom einst günstigen und schnellen Wachstum kann dann keine Rede mehr sein.

Damit Wachstum überhaupt eine Chance auf Entwicklung bekommt, ist die Wahl eines bestimmten Kanals eine zusätzliche Hürde. Hotmail zum Beispiel wäre nie erfolgreich gewesen, hätte das Unternehmen nicht direkt in der Umgebung der E-Mail-Anwender für sein Produkt geworben. Ebensowenig passt der Speicherdienst Dropbox zu Pinterest. Airbnb hätte die virtuellen Pinnwände hingegen ausnutzen können. Ob das Unternehmen dort ähnlich erfolgreich gewesen wäre, darüber lässt sich nur spekulieren.

Fakt ist dass das Start-up ebenso wie Dropbox oder Hotmail genau das gemacht hat, worauf es beim Growth Hacking ankommt: Mit einem richtigen Produkt zur richtigen Zeit den richtigen Kanal wählen und das Produkt mit einem kaum vorhandenen Budget zum Selbstläufer machen. Eine Leistung, die nur wenige klassische Marketeers je erreichen.