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Quizfrage: Welche Art von Unternehmen gründen ein Wirtschaftsingenieur und ein Systemadministrator? Ein Hardware-Startup, das mittels NAS eine private und sichere Cloud ermöglicht? Eine Online-Plattform, die aufgrund ihres innovativen Ansatzes besonders gut skaliert? Weit gefehlt; sie gründen eine Kreativagentur für Bewegtbild. Schuld daran sind der Freund eines Freundes, ein Faible für Fotografie und die 2-Meter-Regel.

Julian, der Wirtschaftsingenieur, hat seine kreative Ader bereits während seines Studiums entdeckt, als er sich als Hochzeitsfotograf ein bisschen was dazu verdiente. Und Johannes, der Systemadministrator, kam über sein Hobby, das Mountainbiking, zum (Bewegt)bild, hat zunächst Freunde beim Biken abgelichtet und kurz darauf erste Gehversuche mit dem Medium Film gemacht.

50.000 Views. Für mehr Toleranz.

Über einen gemeinsamen Bekannten lernen sich die späteren Geschäftspartner kennen und sehen, dass sie beruflich auf der gleichen Wellenlänge liegen. Und privat verbindet sie die Liebe zur Natur: Beide zieht es regelmäßig in die Berge. Folgerichtig bildet der Schwarzwald auch die Kulisse für das erste gemeinsame Projekt mit dem Namen Für mehr Toleranz in den Wäldern.

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Ein erster Erfolg: Binnen kürzester Zeit erreichte das Video Für mehr Toleranz in den Wäldern mehr als 50.000 Views.

Es ist ein Plädoyer für das friedliche Nebeneinander von Wanderern und Mountainbikern, denn auf den Wanderwegen im Ländle geht es alles andere als gesittet zu. Zum Hintergrund: In Baden-Württemberg sind Trails, die schmaler als zwei Meter sind, für Biker eigentlich tabu. Dass sich diese den Downhill-Sport dennoch nicht verbieten lassen, führt zu Unmut auf der anderen Seite. Pöbeleien sind an der Tagesordnung; doch damit nicht genug: „Ein paar Unbelehrbare greifen zu Selbstjustiz, bauen Fallen, durch die sie Biker vom Rad holen wollen. Und das, obwohl beide Parteien eigentlich vieles gemeinsam haben – zum Beispiel die Freude am Draußensein“, weiß Julian. „Auf diese Gemeinsamkeiten wollten wir mit unserem Film hinweisen.“

Das hat geklappt. 50.000 Views hat das Video binnen kürzester erreicht und somit auch einen Gedanken gefestigt, der schon länger in beiden keimte: Die Gründung eines eigenen Unternehmens.

Herzlich Willkommen. Neuanfang.

Für mehr Toleranz in den Wäldern fiel in eine Zeit, in der bei den Unternehmern in spe die Zeichen auf Neuanfang standen. Johannes hatte genug vom 9-to-5-Job bei der Deutschen Bahn: „Systemadministrator war nicht meine Welt. Ich wollte meine eigenen Ideen wachsen lassen, den Rahmen dafür abstecken und sie dann realisieren – das geht in einem Angestelltenverhältnis nur bis zu einem gewissen Grad.“

Julian ging es ähnlich. Er wollte ursprünglich in die Beratung, musste während eines Praktikums jedoch feststellen, dass das für die Unternehmensberatung typische 5-4-3 (5 Tage Beratung, 4 Tage beim Kunden, 3 Nächte im Hotel) nicht mit seinen Vorstellungen von Work-Life-Balance vereinbar ist. „Im Nachhinein betrachtet, kann man schon von einer kleinen Identitätskrise sprechen, die der Gründung vorausging“, meint Julian etwas schmunzelnd.

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Fun Fact: Beim Dreh für DuraCase in Zermatt wurde das Team unbeabsichtigt selbst zum Protagonisten – und zwar bei Google Street View.

Ob nun kleine Sinnkrise oder nicht – von hier an ging alles recht fix. Auf der Gründerzeit, der Startup-Messe des Landes Baden-Württemberg, konnte man den ersten Kunden von sich überzeugen und kurze Zeit später fand sich die neu gegründete Nacona GbR samt Ausrüstung am Matterhorn wieder und drehte den ersten Clip über eine Smartphone-Hülle für Extremsportler und Outdoor-Freaks.

Das ist knapp zwei Jahre her. Seither hat sich die kleine Kreativagentur mittels Bootstrapping ganz gut weiterentwickelt.  „Im ersten Jahr, als wir noch keine Rücklagen angesammelt hatten, war man schon etwas angespannter als heute mit einem festen Kundenstamm im Rücken“, resümiert Johannes. Und ebendieser Kundenstamm kann sich durchaus sehen lassen; auf der Liste stehen beispielsweise der e-Bike-Hersteller coboc, das Karlsruher Institut für Technologie oder der Carsharing-Anbieter Stadtmobil.

Wir wollten keinen englischen oder deutschen Namen, weil wir noch nicht so richtig wussten, wo die Reise hingeht. Dann sind wir auf ein Indianerlexikon und auf das Wort Nocona gestoßen. Das heißt „der Wanderer“. Passt zu uns, haben wir gedacht, doch die URL war besetzt. Also a statt o – klingt ja irgendwie auch schicker.

– Johannes, Co-Founder Nacona –

Neues ausprobieren. Standardwege verlassen.

Julian und Johannes sind Autodidakten. Und genau diese „Unbekümmertheit“ macht oftmals den Unterschied. „Als Quereinsteiger sind wir im Denken vielleicht etwas freier als ein Kameramann, der das von der Pike auf gelernt hat“, meint Johannes.

Was er damit ausdrücken will, wird in einem Film sichtbar, den Nacona für das Open-Air-Festival Das Fest produziert hat. „Wir wollten das Publikum mit auf Das Fest nehmen, es die Stimmung dort spüren lassen“, erklärt Julian. Dafür hat Nacona ein Kameragestell gebaut, das den Zuschauer eine Position einnehmen lässt, wie man sie aus Third-Person-Shootern kennt. Das Ergebnis: Der Beobachter taucht in das Festival mit ein. Tanzt. Fühlt. Erlebt.

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Im Video begleitet der Zuschauer verschiedene Fest-Besucher bei deren Aktivitäten.

Abgefahrene Aufbauten, andere Perspektiven, neue Blickwinkel – Nacona experimentiert gerne. Wie gerne, zeigt sich auch im Projekt One Take. Two Sides. Wie der Name schon sagt, wurde der knapp 5-minütige Clip in nur einem Take abgedreht. Und das mit mehr als 60 Akrobaten, Musikern und Künstlern – darunter regionale Größen wie der Dreher, die Band Stereodrama und einige andere bekannte Artisten.

Mehrere Test- und 5-6 scharf geschossene Durchläufe hat es gebraucht, bis alles im Kasten war. „Beindruckt hat mich vor allem, dass alles so reibungslos funktionierte, obwohl die Protagonisten am Drehtag das erste und einzige Mal alle zusammen geprobt haben“, meint Johannes. Julian hat eine etwas andere Formulierung dafür: „Das nur an einem Tag zu proben, war totaler Amok!“

One Take. Two Sides. von Nacona
Per Tastenklick ist es möglich, zu jeder Zeit hinter die Kulissen von One Take. Two Sides. zu schauen

Geklappt hat es trotzdem. Wieviel Koordination und Abstimmung ein One-Take jedoch mit sich bringt, zeigt sich erst beim Blick auf die anderen Seite, im Making-of: Hinter den Kulissen sind unentwegt Komparsen am Hin- und Herrennen, Helfer wuseln durch die Gegend und zahlreiche Hände unterstützen bei der Kameraübergabe.  

3-4 Monate Planung gingen dem Drehtag voraus. Akteure anfragen, Gestelle bauen, Musik komponieren, Abläufe planen. Hauptsächlich dafür verantwortlich zeichnete sich Sebastian Langner, der bei Nacona zu der Zeit sein Pflichtpraktikum absolvierte. „Einen Tag pro Woche arbeiten unsere Praktikanten an eigenen Projekten“, erklärt Julian. „Denn wenn wir schon keine horrenden Praktikantengehälter bezahlen können, wollen wir zumindest so viel Freiraum zur persönlichen Weiterentwicklung geben, wie es nur irgendwie möglich ist.“

Meine Stadt. Meine Gegend. Mein Zuhause. Mein Block.

Ein Schiffscontainer im Kreativgründerzentrum Perfekt Futur ist die Heimat von Nacona. Der Alte Schlachthof, wie sie sagen, ihre Hood: „Vor allem in der Anfangszeit hat uns das kreative Umfeld hier extrem weitergeholfen“, erklärt Julian und Johannes ergänzt: „Durch das Netzwerk auf dem Schlachthofgelände haben wir wichtige Impulse bekommen, es sind Kooperationen entstanden und wir wurden weiterempfohlen.“

Perfekt Futur Alter Schlachthof
Das Perfekt Futur – eine besonders anregende Umgebung für Gründer, die der Kreativbranche zugeordnet werden können. (Bild: Fidelis Fuchs | Alter Schlachthof Karlsruhe)

Am Kreativstandort Karlsruhe schätzen sie die Bodenständigkeit. Zwar ist die Szene nicht so groß, aber im Grunde mangelt es dennoch an nichts. „Beschweren kann man sich nicht. Es gibt hier genug Angebote, die man wahrnehmen kann“, stellt Julian fest. „Außerdem ist hier alles viel handfester als beispielsweise in Berlin, wo schon allein deshalb alles superkreativ erscheint, weil ungefähr jeder zweite irgendwas mit Medien macht.“

Hier. Macht.

Und was würde Nacona gerne mal filmisch in Szene setzen? „Ich würde unglaublich gerne eine Expedition über mehrere Wochen begleiten und darüber eine Dokumentation machen. Vielleicht in den Dschungel. Oder in die Arktis“, so Julian. Johannes ist da etwas pragmatischer. „Einen Blankoscheck vom Kunden und den Freischein: Macht, was ihr für richtig haltet!“

Christian Birnesser
Christian zeichnet sich bei der IT-Additional-Services für das Marketing und die Unternehmenskommunikation verantwortlich. Zuvor arbeitete er bis Mitte 2018 beim CyberForum und leitete dort die Abteilung Kommunikation & Marketing. Christian studierte Kunst- und Medienwissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Dabei befasste er sich hauptsächlich mit Kommunikationstheorien, die als Vorläufer des Guerilla-, Viral- und Ambient-Marketing zu verstehen sind.