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Die digitale Transformation wird schaffen, was die technischen Revolutionen der Vergangenheit bisher nicht vollbracht haben: menschliche Erwerbsarbeit auf ein Minimum zu reduzieren. Wenn erst einmal autonome Maschinen unsere Nahrung erzeugen und vernetzte Fabriken unsere Konsumgüter produzieren, wird der Mensch endlich frei sein. Diese Freiheit muss aber erstritten werden. 

Die Debatte um ein mögliches Ende der Arbeit ist keineswegs neu, schon der berühmte Ökonom John Maynard Keynes prognostizierte in den 1930er Jahren ein Ende der Arbeit und die Debatte um technologisch induzierte Arbeitslosigkeit reißt seither nicht ab. Bisher haben die Gegner solcher Prognosen, die einwenden, dass neue Technologien auch stets neue Bedürfnisse und damit auch Wachstum und schließlich Arbeitsplätze schaffen, Recht behalten.

Das Ende der Arbeit lässt noch auf sich warten

Zugegebenermaßen scheinen die Thesen vom Ende der Arbeit besonders kühn in Zeiten brummender Konjunktur und Rekordbeschäftigung. Denn zweifelsohne werden aktuelle Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz, Machine Learning und dem Internet of Things nicht von heute auf morgen zu leeren Fabrikhallen und verwaisten Bürogebäuden führen. Klar ist jedoch, dass der technische Wandel dramatische Auswirkungen auf die Arbeitswelt mit sich bringen wird. Im Fokus der Debatte stehen dabei routinelastige Jobs mit mittleren Anforderungsprofilen. Besonders Berufe, in denen nach standardisierten und routinierten Prozessen gearbeitet wird, werden – nach Meinung der meisten Experten – höchstwahrscheinlich in naher Zukunft der Automatisierung zum Opfer fallen.

Die Digitalisierung wird aber zunächst keine Arbeitslosigkeit in Berufsfeldern erzeugen, die Kreativität, menschliches Einfühlungsvermögen und ein hohes Bildungsniveau verlangen. Interessanterweise sind sich die meisten Experten auch sicher, dass einfache körperliche Hilfstätigkeiten so schnell nicht wegrationalisiert werden können. Eine präzise Schweißnaht zu ziehen ist kein Problem für einen Roboter, einen Sack Zement über eine unübersichtliche Baustelle zu transportieren hingegen schon. So ist die wahrscheinlichste Entwicklung in den kommenden Jahren eine Polarisierung des Arbeitsmarktes, in der eine wachsende Schicht gut bezahlter kreativer Akademiker einer breiten Masse schlecht ausgebildeter und schlecht entlohnter Hilfskräfte gegenübersteht. Während Friseure und Ingenieure arbeiten, werden Sachbearbeiter und Kassierer vermutlich bald arbeitslos sein.

Die Entwicklung in näherer Zukunft lässt sich relativ klar abschätzen. Wie drastisch die Auswirkungen auf die Arbeitswelt auf längere Sicht sein werden, darüber streiten sich die Forscher, die den Zusammenhang von Digitalisierung und Arbeit untersuchen. Eine umstrittene Studie der Oxford-Wissenschaftler Carl B. Frey und Michael A. Osborne zeigt etwa auf, dass viele Berufe auch jenseits der einfachen Routinetätigkeiten der fortschreitenden Automatisierung zum Opfer fallen könnten. Auch ökonomisch lässt sich beobachten, dass technologische Produktivitätssteigerungen nicht mehr im gleichen Maße zu neuen Arbeitsplätzen führen, wie dies bisher der Fall war.

Was die Zukunft bringt

Die hier aufgeworfenen Thesen sind freilich streitbar. Schließlich ist die Zukunft nicht vorhersehbar und technische Entwicklungen, die als gefeierte Innovationen an den Start gingen, endeten oftmals in den Sackgassen der Geschichte. Doch die Zukunft fußt auf Entscheidungen der Gegenwart, weshalb schon heute die Weichen für morgen gestellt werden müssen. Eine wohlhabende und demokratische Gesellschaft wie unsere muss sich daher fragen, wie Arbeit in Zukunft aussehen soll. Soll eine Elite aus Roboterwissenschaftlern und kreativen Informatikern die Gewinne der Smart Factories und Dienstleistungs-Bots einheimsen oder kann die Digitalisierung nicht vielleicht doch für alle mehr Freiheiten schaffen?

Wenn die Digitalisierung die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter vergrößern soll, braucht es dazu neue gesellschaftliche Antworten auf die rasanten Entwicklungen der Technik. Die Maschinen der Zukunft sollten die immensen Gewinne aus der arbeitssparenden Produktion nicht an einige wenige ausschütten. Technische Revolutionen neigen dazu, die soziale Ungleichheit in einer Gesellschaft drastisch zu verschärfen. Doch wie das Zeitalter der Dampfmaschine die Einführung von Sozialversicherungssystemen und staatlicher Regulierung des entfesselten Kapitalismus zur Folge hatte, wird auch das Digitalzeitalter neue Formen des Wirtschaftens hervorbringen.

Womöglich sind Kooperativen und Genossenschaften Wirtschaftsmodelle, die ins digitale Zeitalter passen. Die Entwicklungen der Share Economy zeigen bereits, wie solche Modelle künftig aussehen könnten. Schon heute gibt es Urban-Farming-Systeme, die sich weitgehend selbst steuern und als Gemeinschaftsprojekt in einem Wohngebiet die Ernährung sicherstellen könnten. Energiegenossenschaften in Verbindung mit Smart-Grids könnten die Energiewende voranbringen und Bürger mit dezentral erzeugter Energie versorgen. Freiwerdende Arbeitskräfte könnten die gewonnene Freizeit für zwischenmenschliche Tätigkeiten etwa in der Pflege oder Erziehung aufwenden.

Der Mensch wird also nicht weiter passives Glied in einer ohnehin selbstlaufenden Maschinerie sein, er wird zum Produzenten und Anteilseigner, um den drohenden sozialen Verwerfungen zu entgehen. Letztlich würde der Mensch somit auch freier und unabhängiger von ökonomischen Zwängen werden.

Freizeit statt Arbeitslosigkeit

Neben neuen Wirtschaftsmodellen sollte außerdem erwogen werden, ob Arbeit nicht besser auf alle Gesellschaftsmitglieder verteilt werden kann, anstatt hohe Arbeitslosigkeit mit teuren Sozialleistungen aufzufangen. Historisch betrachtet ist die gesetzliche Arbeitszeit stets gesunken, ohne dem wirtschaftlichen Wachstum dabei abträglich zu sein.

Arbeiteten Menschen vor hundert Jahren noch im Schnitt an die 50 Stunden in der Woche, waren es 2016 durchschnittlich 35,1 Wochenstunden. Diese Zahl kommt unter anderem durch den steigenden Anteil an Teilzeitarbeitskräften zustande. Experimente in Skandinavien legen nahe, dass weitere Arbeitszeitreduzierungen nicht nur Mitarbeitern, sondern auch dem Geschäft zugute kommen.

Eine solche Entwicklung ist aber keinesfalls vorgegeben. Sie musste hingegen immer gegen Widerstände aus der Wirtschaft erkämpft werden. Neben der Verkürzung der Arbeitszeit hat die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts weitere Errungenschaften, wie die gesetzliche Sozialversicherung, Rentenversicherung oder Fortschritte auf dem Gebiet der Arbeitssicherheit, erstritten. Dabei waren meistens die Verlierer der technischen Entwicklung Treiber des sozialen Fortschritts.

Die Soziale Frage im digitalen Zeitalter

Neben Sozialreformern und Revolutionären traten in der ersten Industriellen Revolution aber auch die sogenannten Maschinenstürmer auf, die nachdem die Maschinen sie arbeitslos gemacht hatten, eben jene Maschinen zerstörten. Die brachialen Ansichten der Maschinenstürmer konnten sich aber nicht durchsetzen. Es zeigte sich, dass neue Technologien oft ganz neue Formen der Arbeit hervorbrachten; durch die Dampfmaschine plötzlich erwerbslos gewordene Kutscher fanden Arbeit als Lokomotivführer und auch heute kommen neuartige Berufsbilder wie etwa die Arbeit als „Youtuber“ als ernstzunehmende Karriereoption in Betracht.

Dennoch sollte die „Digitale Revolution“ wie auch die vorangegangenen Paradigmenwechsel dazu anregen, soziale Verwerfungen in Angriff zu nehmen und neben technologischen vor allem auch die nötigen gesellschaftlichen Zukunftsvisionen zu entwickeln. Ob dabei um geringere Arbeitszeiten, Share Economy oder gar ein bedingungsloses Grundeinkommen gestritten wird, muss die Zukunft zeigen.