Lesedauer ca. 4 Minuten

Smart Home ist die Zukunft. In ein paar Jahren wird schlichtweg alles vernetzt sein – und das ist auch gut so. Veränderung bedeutet Fortschritt. Doch insbesondere die deutschen Medien können sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden. Sie üben sich in Schwarzmalerei, anstatt ihren Lesern die Chancen neuer Technologien aufzuzeigen. Ein Kommentar.

Am Wochenende saß ich mal wieder ungläubig vor dem Bildschirm und las einen Artikel zum Thema Smart Home, der mir bei Facebook in meine Timeline gespült wurde. Überschrift: „Das Smart Home – eine Horrovision“. Auf den Inhalt dieses Beitrags möchte ich gar nicht erst eingehen. Stattdessen habe ich mir mal angeschaut, wie andere renommierte (deutsche) Magazine und Tageszeitungen mit dem Thema „Vernetztes Eigenheim“ umgehen:

  • „Smart Home: Das vernetzte Zuhause beschwört neue Risiken herauf“
  • „Sicherheitsrisiko Smart Home: Geringes Bewusstsein für Risiken“
  • „Smart Home: Neue Gefahren im vernetzten Heim“
  • „Smart Home macht angreifbar“
  • „Smart Home: Die Gefahr digitaler Einbrecher“
  • „Smart Home: Mensch darf nicht zum Objekt vernetzter Geräte werden“
  • „Dein smartes Zuhause will dich umprogrammieren“
  • „Wenn der Einbrecher aus der Steckdose kommt“

Ich denke, dass damit die Sache klar ist: Weder Terrorismus noch Klimawandel werden die Menschheit vernichten, sondern Rollläden, die man per Sprachbefehl öffnen kann. Und nein, diese Überschriften entstammen nicht etwa irgendwelchen Verschwörungsportalen im Internet, sondern sind so in der Süddeutschen Zeitung, Spiegel Online, dem Handelsblatt und vielen anderen Medien zu finden.

Smart Home-Geräte sind böse. Sie sind die Chemtrails, die wir uns in unsere Häuser und Wohnungen holen.

Die German Angst

Naja, nicht wirklich… Meiner Meinung nach sind Menschen, die im Jahr 2017 noch E-Mail-Anhänge mit Viren öffnen oder 20.000 Euro an einen nigerianischen Anwalt überweisen, um ein Erbe anzutreten, eine viel größere Gefahr für unsere Gesellschaft. Aber das ist ein anderes Thema. Kommen wir zurück zum Umgang deutscher Medien mit dem Thema Smart Home.

Auf internationalen Messen gibt es ein eindeutiges Erkennungszeichen für deutsche Journalisten – und damit ist nicht das falsch ausgesprochene „th“ im Englischen gemeint. Nein, Journalisten aus Deutschland erkennt man vielmehr an einer ganz bestimmten Frage. Stellt euch vor, ein Technologiekonzern präsentiert vor zweitausend Medienvertretern aus aller Welt die ultimative Smart Home-Neuheit. Die Zuschauer sind begeistert. „Wann kommt das auf den Markt? Wie viel wird es kosten? Wird das Produkt in Zukunft noch mehr können?“ – das sind die Fragen, die die Gäste im Auditorium bewegen. Aber sie haben die Rechnung ohne ihre deutschen Kollegen gemacht, die die erste Frage bei der Q&A-Session stellen dürfen: „And what about privacy?“. Ein Raunen geht durch den Saal und jeder weiß sofort: „That must be a German.“

Im Ausland ist diese „German Angst“ legendär. Der Pressesprecher eines internationalen Unternehmens fragte mich vor einer Weile mal, ob ich mir erklären kann, woher diese Paranoia der Deutschen gegenüber technischen Neuerungen kommt. Eine Antwort darauf bin ich ihm bis heute schuldig geblieben.

Negative Schlagzeilen bringen mehr Traffic

Ein smartes, vernetztes Eigenheim hat Vor- und Nachteile. Langfristig führt allerdings kein Weg an Waschmaschinen und Backöfen mit W-Lan vorbei, ebenso wenig wie an selbstfahrenden Autos. Es wäre also durchaus angebracht, sich differenziert mit dem Thema auseinanderzusetzen. Warum passiert das in Deutschland bislang eher selten? Warum wird ein intelligenter Sprachassistent wie Amazon Alexa in den deutschen Medien mit der Headline „Amazon stellt Spion in unsere Wohnzimmer“ angekündigt?

Die Antwort ist denkbar einfach: Negative Schlagzeilen bringen Klicks. Es gilt das Prinzip „Gib den Leuten was sie wollen.“ Jedes Jahr sterben unzählige Menschen bei Autounfällen, weil irgendjemand nicht aufgepasst hat. Wenn allerdings der Autopilot von Tesla einen einzigen Unfall verursacht, dann schlägt das riesige Wellen. Der Deutsche denkt sich dann: „Ich wusste schon immer, dass man dem neumodischen Schnickschnack nicht trauen kann!“. Die korrigierte Meldung, in der rauskommt, dass der Fahrer die Warnungen des Autopiloten mehrfach ignoriert hat, nimmt niemand mehr zur Kenntnis.

In Deutschland werden jedes Jahr 160.000 Einbrüche registriert. Meistens wird eine Scheibe eingeschlagen oder ein Fenster aufgehebelt. Mit einer intelligenten Alarmanlage im Smart Home hätte das vielleicht verhindert werden können. Das interessiert aber keinen. Stattdessen erweisen Magazine wie PlusMinus dem digitalen Fortschritt einen Bärendienst, indem sie Sendungen mit Titeln wie „Smart Home: So leicht haben es Einbrecher“ produzieren:

„Oft reicht dem Hacker ein veröffentlichtes Standard-Passwort, um das Haus zu übernehmen.“

Das ist der Einstieg. In dem gesamten Text geht es dann ausschließlich darum, wie unsicher ein vernetztes Eigenheim ist. Es werden Horrorszenarien erstellt, nur um dann ganz am Ende, in der Infobox, im vorletzten Satz, den keiner mehr liest, zu konstatieren:

Alle mit nicht geändertem Standard- oder einfach gewählten Passwörter sind somit unsicher. Wer technisch versiert ist und sich genau mit seinem Smart Home beschäftigt, kennt solche Lücken wahrscheinlich.

No shit, Sherlock! Analog dazu könnte man auch über Häuser mit Fenstern schreiben: „Alle mit offenen Fenstern versehenen Häuser sind somit unsicher. Wer technisch versiert ist und kurz nachdenkt, weiß wahrscheinlich, dass man Fenster besser schließen sollte, wenn man aus dem Haus geht!“

In diesem Sinne: Liebe Kollegen, klärt die Leute doch bitte mit differenzierten Texten auf und verzichtet auf die Panikmache, die die Menschen in ihrer negativen Grundhaltung noch bestärkt.