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Was verbirgt sich eigentlich hinter der Begrifflichkeit Blockchain? Welche wirtschaftlichen Möglichkeiten bietet die Technologie? Im Interview beantwortet Björn Böttcher, Senior Analyst bei Crisp Research, Fragen zur Blockchain – über die neue Art und Weise, Daten zu speichern beziehungsweise zu verteilen und wie man damit Geld verdienen kann.

Was genau versteht man unter Blockchain? Welche Technologie steckt dahinter und was hat die digitale Währung Bitcoin damit zu tun?

Die Blockchain an sich ist ein Phänomen und Mythos zugleich. Es gibt keine klare Definition des Terminus. Ferner existieren eine Menge von relevanten Begriffen rund um die Technologie auf unterschiedlichen Detailebenen.

Björn Böttcher, Senior Analyst bei Crisp Research

Bitcoin (*2008) selbst ist eine Anwendung, die auf Blockchain beruht. Unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto wurde eine Forschungsarbeit verfasst, die über die Möglichkeit nachdenkt, Geld zu produzieren ohne eine zentrale Verwaltungsinstanz nutzen zu müssen. Dabei wird die Blockchain als eine dezentrale technologische Komponente diskutiert, um dieses Problem zu lösen. Kern der Arbeit war dabei das Proof-of-Work-Konsensverfahren. Die Open Source Gemeinde hat dann die Ideen aus dem Paper aufgegriffen und an der Technologie an sich und ebenso an Bitcoin gearbeitet. Mit dem Terminus Blockchain gehen prinzipiell drei unterschiedliche Begriffskontexte einher:

  • Datenstruktur
  • Soziotechnisches System von Leuten die eine Blockchain-Datenstruktur kooperativ bearbeiten
  • Ideen affine technologische Lösungen

In jedem Kontext geht es im Grundgedanken um die Mechanisierung von Vertrauen.

Die Kernelemente einer Blockchain im Sinne der Datenstruktur sind:

  • Blöcke werden in eine chronologisch geordnete unendliche und verteilte Datenbank geschrieben
  • Blöcke sind unveränderlich
  • Blöcke können jede beliebige Information oder jedes Objekt aus der physischen Welt repräsentieren
  • Datenbank existiert in einem Netzwerk von Akteuren unter dem einheitlichen Konsens: Alles was in der Datenbank steht, ist wahr

Die Blockchain kann so eine Plattform als eine zentrale Instanz abbilden, wenn man gemeinschaftlich eine Leistung erbringen möchte; unter gleichberechtigten Partnern. Dabei ist die Blockchain per se eine Netzwerktechnologie, die interessanter wird, je mehr Leute daran teilnehmen.

Unter dem Gesichtspunkt der Ideen affinen technologischen Lösungen, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben, lassen sich mittlerweile Dimensionen erkennen, nach denen diese eingruppiert werden können. Prinzipiell haben wir

  • eine rechtliche Ebene,
  • eine Zugriffsebene und
  • eine technologische Ebene.

In der rechtlichen Ebene unterscheidet man Technologien, die entweder dem Konsensgedanken unterliegen oder einer ‚Trusted Authority‘ zugehörig sind. Die Trusted Authority ist dabei eine vorher festgelegte zentrale Instanz, der alle Beteiligten im Netzwerk vertrauen; ähnlich, wie den Wurzelzertifikatsstellen. Bei der Zugriffsebene geht es um die Thematik, ob eine Technologie öffentlich, also für jeden verfügbar und zugänglich ist oder lediglich einem kleinen Kreis von Partnern. In der Ebene der Technologie haben wir zum einen eine Rubrik mit nicht überwachten Technologien, also strikt dezentrale Systeme. Zum anderen gibt es aber auch Systeme, die zum kleinen Grad überwacht werden, also über eine Art Administrator für den Notfall verfügen.

Verteilte Information, unterschiedlichen Datensätze verteilt auf unzähligen Rechnern; spricht zunächst für eine sichere Alternative. Hackern wird es so schwerfallen, zentral einzufallen. Doch, wie muss ich mir die Sicherheitsaspekte bei einem Vertragsabschluss vorstellen? Sind alle beteiligten Rechner verschlüsselt; und kann jeder Rechner auf die Informationen zugreifen? Wie sieht es rechtlich aus?

Eine sehr vielschichtige Frage, die nicht einfach in einem Satz zu beantworten ist. Die Frage zielt auf vier Aspekte ab:

  • das dezentrale (P2P) Netzwerk,
  • Vertragsabschlüsse,
  • Verschlüsselung/Sicherheit und
  • rechtliche Sicherheit.

Wenn man sich das zugrundeliegende Peer-to-Peer-Netzwerk anschaut, dann sprechen wir von keiner neuen Technologie; wie im Übrigen auch technologisch die gesamte Blockchain-Technologie lediglich eine clevere Verknüpfung beziehungsweise Erweiterung unterschiedlicher bereits existierender Ideen ist. Peer-to-Peer-Netzwerke kennen wir spätestens seit dem bisher berühmtesten Beispiel Napster (Filesharing). Die Verwendung eines Peer-to-Peer-Netzwerks hat bestimmte Vorteile in Hinblick auf die Blockchain Technologie:

  • Ich kann den Zustand der Blockchain immer überprüfen
  • Ich muss mich nicht auf eine Partei verlassen, um den wahren Zustand der Blockchain zu kennen
  • Ich muss mich nicht auf die Sicherheit eines Servers verlassen, um zu wissen, dass die Blockchain sicher ist
  • Eine böswillige Partei müsste tausende von Computern gleichzeitig hacken, anstatt nur einen einzigen Server
  • Ich kann sicher sein, dass die Blockchain nie gelöscht wird, da sie von allen Knoten gelöscht werden müsste

Zum Thema Sicherheit wird es dann schon komplexer bei der Antwort. Auf technologischer Eben beherbergt jeder neue Block innerhalb der Datenstruktur einen Hash. Dabei handelt es sich um eine computergestützte Zahlenkombination (Schlüssel), die einen eindeutigen Wert für eine beliebige Zeichenkette darstellt. Damit ist die Reihenfolge der Transaktionen festgelegt und die Berechnung ab einem bestimmten Zeitpunkt kann rekonstruiert oder nachgerechnet und somit nach Richtigkeit geprüft werden. Damit ist die Reihenfolge strikt festgelegt und man kann die Historie aller Transaktionen entsprechend validieren. Dabei ist der sogenannte ‚Genesis‘-Block der Anfang der Kette, welcher mit einem speziellem Identifier versehen ist. Dieser stellt den Ursprung der Blockchain dar. Übermittelte Transaktionen sind je nach Implementierung der Technologie erst nach einiger Zeit sicher. Bei Bitcoin ist dies technisch bedingt nach zirka zehn Minuten der Fall und bei Ethereum nach 15 Sekunden. Transaktionen werden also nicht direkt in die Blockchain geschrieben, sondern müssen zunächst durch die Mehrheit des Netzwerkes validiert werden. Die Berechnung und Validierung ist dabei sehr rechen- und zeitintensiv, wodurch der Aufwand für Manipulationsversucher technisch enorm hoch ist. Verschlüsselt sind lediglich meine Transaktionen, die ich mit meinem privaten Schlüssel signiere.

Beim Thema Verträge und den rechtlichen Aspekten muss man zunächst die Smart Contract betrachten. Das sind im Grunde digitalisierte Beziehungen; man spricht auch von der Automatisierung der Vertrags- und Rechtsbeziehung des Netzwerks in einer Blockchain. Dabei handelt es sich allerdings um keinen Rechtsvertrag. Der Smart Contract ist lediglich ein Stück Software. Alle Teilnehmer einigen sich innerhalb des Netzwerkes darauf, dass ein bestimmter Smart Contract für sie, innerhalb der Umgebung, rechtsverbindlich ist. Letztlich ist es also ein Agent der deterministisch und autonom innerhalb des Netzwerkes auf festgelegte Regeln reagiert. Damit geht auch eine enorme Macht von den Smart Contracts aus. Der bekannteste Diebstahl in der Blockchain-Welt basierte auf einen Fehler in genau solch einem Smart Contract, der eine eigentlich abgeschlossene Transaktion immer wieder erneuet ausführen lies. So konnten die Angreifer immer wieder einen Betrag X umbuchen. Sofern die Vertragsabwicklung durch einen Smart Contract repräsentiert wird, bekomme ich somit ein vertragliches Leistungsprogramm eines Kaufvertrages. Was in der Regel ein enormer Vorteil ist. Vergleichen kann man dies vielleicht mit einem Fahrkartenautomaten.

Um den Aspekt eines Rechtsvertrages in dieses Modell zu projizieren, gibt es unterschiedliche Ansätze um Verträge dann nicht mehr mittels Text oder Textbausteinen, sondern mittels Software zu generieren. Also quasi eine juristische Bibliothek für die Gestaltung von Rechtsverträgen. In Hinblick auf Bitcoin und anderen sogenannten Kryptowährungen sollte noch erwähnt werden, dass diese über keine Banklizenzen verfügen und somit auch nicht der üblichen Einlagensicherung unterliegen.

Wer als erstes das Puzzle löst, gewinnt in der Regel. Um das Netzwerk und alle Beteiligten vor nicht autorisierten Rechnern zu schützen, konstruieren wir das Puzzle technisch so schwierig, dass es ökonomisch unsinnig ist.

Björn Böttcher, Senior Analyst bei Crisp Research

Genau so funktioniert es in Netzwerken, die auf dem Proof-of-work-Ansatz funktionieren. Technisch wird versucht das Problem so komplex zu machen, dass es ökonomisch unsinnig wird, dies überhaupt zu lösen oder sich daran auszuprobieren. Dies hängt jedoch auch von der Größe des Netzwerkes ab. Bei alten Währungen, wie beispielsweise Bitcoin, ist dies sehr schwierig. Bei jungen Coins mit geringeren Teilnehmerzahlen kann man schon leichter diese Art der Manipulation vornehmen. Es gibt aber auch andere Algorithmen beziehungsweise Ansätze, wie dieses Problem adressiert werden kann.

Inwieweit kann die Industrie, der Mittelstand von dieser Technologie profitieren? Gibt es bereits Beispiele aus der Industrie, bei denen Blockchain bereits greift oder zumindest die Basis bildet?

Wenn man zunächst an die Kryptowährung denkt, liegt es nahe, dass viele Banken untersuchen, wie sie diese Technologie für sich einsetzen können. Da gibt es inzwischen auch viele Banken die sich darin probieren, etwa die Deutsche Bank AG, Fidor Bank AG, Santander, ING-DiBa AG, UBS, Rabobank und viele andere.
Einige Szenarien, auch mit Einbezug von Smart Contracts, könnten zum Beispiel sein:

  • Zugang zu physischen Gegenständen durch Schlüssel-Management
  • Nicht veränderbare Dokumentation von Daten für Dritte
  • Nachweis von Urheberrechten, Markenrechten, Lizenzen etc.
  • Abschluss und Abwicklung von Treuhandverträgen
  • Notarielle Einträge ohne Notare, z. B. für Grundstückseigentum
  • Direkte Vergabe von Krediten

Aus der Industrie ist Bosch anzuführen, die dieses Jahr auf der ‚Bosch Connected World‘ in Berlin ein System für Kilometerständen beziehungsweise die Laufleistung von Motoren vorgestellt haben. Mittels einer weiteren Institution, dem TüV, kann dann beispielsweise auf Autobörsen verifiziert werden, dass ein zum Verkauf stehendes Automobil auch tatsächlich diese Laufleistung erbracht hat. Darüber hinaus wird auch aktuell noch an Hochschulen geforscht, welche Anwendungsfälle für den Mittelstand oder auch generell für die Wirtschaft von Interesse sein können.

Ich lese immer wieder, dass Blockchain die Technologie der Zukunft ist; ja sogar das Internet ablösen könnte? Ist das alles Blödsinn oder gibt es da technologisch tatsächlich Synergien?

Ob Blockchain oder die Datenstruktur die Technologie der Zukunft ist würde ich nicht sagen. Sicherlich hat sie viel Potential, sich in gezielten Anwendungsszenarien als erheblichen Mehrwert zu etablieren und auch Instanzen beim Handel zu eliminieren. Beispielsweise könnte ein Vermieter eine Blockchain-kompatible Waschmaschine in seine Mietwohnungen stellen und die jeweiligen Mieter zahlen dann direkt mittels Bitcoin die Nutzung an den Vermieter – ohne dazwischen eine Bank zu schalten. Die Technologie ermöglicht also vielmehr; auch auf gesellschaftlicher Ebene: Ein anderes Beispiel wäre eine direkte Bezahlung von Lebensmitteln direkt an den Erzeuger. Oftmals wird in Kontext Blockchain über ein Web 3.0 oder über eine Blockchain der Werte nachgedacht.

Vielen Dank für das Interview.

Über Björn Böttcher
Björn Böttcher ist Senior Analyst bei Crisp Research. Er leitet als ‚Data Practice Lead‘ die Research- und Beratungsaktivitäten zu den Themen Big Data, Container, Event-driven Architectures, Cloud-native Architekturen and Künstliche Intelligenz. Als Gründer der ersten deutschen User Groups für Amazon AWS und Microsoft Azure zählt Björn Böttcher zu den Pionieren des Cloud Computing in Deutschland. Als Veranstalter der ersten deutschen Cloud-Konferenzen und Lehrbeauftragter für Informatik und Computational Web in der Parallel Computing Group der TU Hamburg hat er wesentliche Beiträge zur Entwicklung der Cloud-Community geleistet. Björn Böttcher verfügt über zehn Jahre Berufserfahrung in der IT-Industrie in der Rolle des Software-Architekten und des IT-Strategieberaters. Zuletzt arbeitete er am Deloitte Analytics Institute und verantwortete dort die Entwicklung und Umsetzung datenbasierter Geschäftsmodelle für Unternehmen aus der Finanz-, Automotive- und Logistik-Branche. Björn Böttcher hat einen Abschluss als Dipl.-Informatikingenieur der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Er hat als Autor eine Vielzahl von Fachbeiträgen publiziert und trägt als Key Note-Speaker und Experte aktiv zu den Debatten um neuen Markttrends, Standards und Technologien bei.